“Politik der Wiener Avantgarden”
Symposium “Teststrecke Kunst. Wiener Avantgarden nach 1945” – Panel-Block V
21. – 23. Oktober 2009, Österreichische Akademie der Wissenschaften
Die Polarisierung von Kunst als Erkenntnis und Kunst als Handeln geht auf alte Verhandlungen zwischen Kant auf der einen, Schiller/Schelling/Hegel auf der anderen Seite zurück. Adorno versuchte gegen die parteipolitischen Bündnisse einer unkünstlerischen Kunst die politische Dimension im Kern des Kunstwerks selbst zu verankern: „Das Asoziale der Kunst ist bestimmte Negation der bestimmten Gesellschaft.“ (Theodor W. Adorno)
Schon die Rezeption der klassischen Avantgarde tendierte dazu, „die politische Dimension, die der Avantgardebegriff von Anfang an mit sich führte, als Dilemma seiner Protagonisten“ umzuformulieren (Karl-Heinz Barck). Noch stärker wurden in den Wiener Avantgarden nach 1945 neben den utopischen die totalitären Elemente – etwa von Otto Mühl – herausgekehrt. Besonders in den Wiener Architekturmanifesten finden sich extreme Formulierungen.
Ein Dilemma der ästhetischen Theorie ist das Spannungsverhältnis zwischen der postulierten Autonomie der Kunst und dem Anspruch an ihre gesellschaftliche und politische Wirksamkeit. Die politischen Dimensionen der Wiener Avantgarden, die ab 1950 auf dem Boden desselben epistemologischen Feldes operierten wie die avanciertesten Theorien der Zeit – Semiotik, Psychoanalyse, Dekonstruktion oder Analyse der Dispositive der Macht –, werden im Rückblick deutlicher: „Das eigentliche Vermächtnis der Wiener Gruppe sind die Kritik an Staat und Wirklichkeit durch Kritik an der Sprache, ihr anti-literarischer und anti-künstlerischer Literatur- bzw. Kunstbegriff, ihre anti-etatistische und anti-autoritäre Haltung, die Überschreitung der Gattungsgrenzen und der Grenzen von Kunst und Leben.“ (Peter Weibel)
Ein explizites Gender-Bewusstsein ist im Nachkriegsösterreich noch nicht feststellbar. Obwohl Maria Lassnig seit den 1950er Jahren mit körperbezogener Malerei experimentierte, besetzte sie damals noch keine Vorbildfunktion. Einen offensiven Feminismus proklamierte erst Valie EXPORT, die in spektakulären Aktionen die Positionen des weiblichen Körpers in Kunst und Gesellschaft hinterfragte und seine Diskriminierung aufzeigte.
Wesentliche Fragen dieses Panel-Blocks werden sein:
Welche Interventionen der Wiener Avantgarden können aus heutiger Sicht als Widerstand, Überschreitung oder Utopie interpretiert werden?
In welchem Zusammenhang steht die Entwicklung der Wiener Avantgarde zwischen 1960 und 1975 zu den Tendenzen einer Einebnung von High und Low, der Ausbreitung pop-kultureller Ästhetik und den gesellschaftskritischen Ansätzen von Sub- und Gegenkulturen?
Welche Differenzen in Wahrnehmung und Bedeutung der Wiener Avantgarden lassen sich zwischen 1950/60/70 und heute festmachen?