Archivgespräche
Universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die in einer Partnerschaft stehen, laden die Mitglieder von viennAvant zu Archivgesprächen ein. Dabei können die Forscherinnen und Forscher der verschiedensten Disziplinen das jeweilige Archiv eingehend besichtigen und haben Gelegenheit, inhaltliche wie methodischen Fragen mit den verantwortlichen KuratorInnen zu diskutieren.
Programm für 2013:
Am 26. Jänner veranstaltet ViennAvant einen Archivausflug in die von Roman Grabner kuratierte Ausstellung des Bruseums in Graz Die Gärten in der Exosphäre. Dichtungen und Bild-Dichtungen von Günter Brus, die dem hochinteressanten literarischen Vorlass von Günter Brus gewidmet ist. Weiters wird die Ausstellung Maria Lassnig. Der Ort der Bilder in der Neuen Galerie Graz besichtigt.
Für Februar ist eine Führung im Wien Museum durch die Ausstellung Hans Scheugl. Die Fotografien des Filmemachers mit Hans Scheugl in Vorbereitung und für März ein Archivgespräch im 21er Haus in der Ausstellung Wotruba – Leben, Werk und Wirkung mit der Kuratorin der Fritz Wotruba Privatstiftung Gabriele Stöger-Spevak. Weiters ist ein Archivgespräch in der Sammlung des Instituts für Elektroakustik der Universität für Musik und Darstellende Kunst sowie eine Präsentation des Forschungsprojekts von Petra Rathmanner zur Aufarbeitung der Geschichte des Schauspielhauses in Planung
Bisherige Archivgespräche 2012:
In der Sammlung Verbund
Ein Dutzend Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Disziplinen fanden sich am 10. Mai in der Sammlung Verbund ein, um am Beispiel der Ausstellung Cindy Sherman – frühe Werke performative und feministische Aspekte von Nachkriegsavantgarde zu studieren und zu diskutieren.
Ausführlicher Bericht folgt.
In der Medienwerkstatt Wien
Am 27. April 2012 fand in der Medienwerkstatt Wien ein Archivgespräch mit der Leiterin der Medienwerkstatt Gerda Lampalzer-Oppermann statt, an dem 7 Forscherinnen aus Medien-, Theater-, Kunst- und Literaturwissenschaft sowie Architekturgeschichte teilnahmen.
Ausführlicher Bericht folgt.
Im Forum Frohner, Krems
Am 23. März 2012 unternahm eine ViennAvant-Gruppe von vier Kunstwissenschaftlerinnen und einer Theaterwissenschaftlerin eine Exkursion nach Krems und besuchte zunächst die Padhi Frieberger-Ausstellung im Forum Frohner. Das nach dem Künstler Adolf Frohner benannte Forum Frohner befindet sich im neu adaptierten Komplex des ehemaligen Minoritenklosters in Stein und ist seit 2007 ein weiterer Ausstellungsort der Kunsthalle Krems.
Fotos © Christian Redtenbacher
Padhi Friebergers künstlerisches Werk ist Ausdruck seines extremen Lebenskonzepts, das er als Gesamtkunstwerk versteht. Er sieht sich als «Protagonist» und war Vorläufer der verschiedensten avantgardistischen Strömungen: Radfahrer in Wien, als die Autolobby noch ihren Siegeszug feierte, ökologisch motivierter Atom-Gegner, als die grüne Bewegung noch nicht existierte. Er züchtete Friedenstauben und er lebte noch vor der Hippie-Bewegung ein Hippie-Dasein ohne Strom und ohne Fenster auf Schloss Hagenberg. Und es heißt, er habe auf einer Waschrumpel schon Free Jazz gespielt, bevor dieser noch in NY erfunden war. Dazu Falter 39/20120. In den 1950er Jahren trat er in der “Wirklichen Jazzband” mit Oswald Wiener (Trompete) und Gerhard Kubik (Klarinette) als Schlagzeuger auf. Siehe Andreas Felber. Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde. Revolution im Hinterzimmer. Böhlau-Verlag
Er war im Art Club und im Umkreis der „Wiener Gruppe“ und der Filmavantgarde um Ferry Radax und Kurt Kren aktiv. Seine Malerei, seine Mail-Art-Collagen und Objekte erinnern an Merzkunst. Neben Gedichten und Gerümpelskulpturen entstanden fotografische Porträts, die die inszenierte Fotografie der 1980er Jahre vorwegnehmen. Ohne jemals selbst eine Kamera zu besitzen schuf er als «Lichtbildner» und «Porträtfotograf» ein beachtliches fotografisches Werk. Lange bevor es E-Mails gab versandte er seit den frühen 1950er Jahren «Mail-art» per Post in die ganze Welt. Er trat als gesellschaftspolitischer Aktivist und anarchistische Szenefigur auf. Peter Weibel bezeichnete ihn als „living sculpture“. Legenden ranken sich um sein Leben. Bezeichnend, dass auch unterschiedliche Geburtsjahre und Geburtsorte von ihm kursieren.
Nach der Ausstellung im MAK 2007/2008 «Künstler im Fokus #3 Padhi Frieberger. Ohne Künstler keine Kunst» wurde sein Werk im Forum Frohner nun zum zweiten Mal einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt. Wegen Kommunikationsproblemen der Administration besichtigte die ViennAvant-Gruppe die Ausstellung ohne Kuratorenführung. Leider fehlte in der Schau auch weitgehend die Vermittlung.
Eine Fülle der Arbeiten – aus den Jahren 1945 – 1979, sehr viele allerdings nicht datiert – ist in den Raum gestellt, ein Ausstellungskonzept war nicht ersichtlich.
Statements von ihm begleiten die Schau an den Wänden:
“Ich habe meine Kunst nicht nur gemacht. Ich habe sie gelebt. Ich fühle mich als Künstler – sogar als der Künstler. Mein Künstlertum ist für mich wesentlich. Es ist auch wichtiger, Künstler zu sein als zu malen.“
“Ich fühle mich mehr als Protagonist. Die Bezeichnung „Einzelgänger gibt es nun einmal, aber in Österreich ist das mehr so im Sinne von „Original“, bei uns kommt das gleich nach Stotterer und Spinner. Bei uns ist jemand ein Außenseiter, der anderswo das Authentische ist. Ich sage dazu „Protagonist“, ich muss das Wort wählen, das zutrifft. Wenn jemand ein Spießer ist, muss ich sagen Spießer, ob es ihm recht ist oder nicht.“
“Die Spitzenkünstler sind ja, solange sie sich nicht durchgesetzt haben, Narren, die am Leben vorbeigehen. Aber das stimmt nicht. Gerade sie sind die Bedeutenden, die etwas bewegen, die Weltkünstler.“
“Ich habe keine Prinzipien, aber Grundsätze, und die verlasse ich nicht.“
Im Archiv der Zeitgenossen, Krems
Die zweite Station dieses Archivausflug nach Krems war das Archiv der Zeitgenossen am Campus der Donau Universität Krems. Auf der sonnigen Café-Terrasse des Kinos Kesselhaus begrüßte die Leiterin Christine Grond mit ihrem Team – Katrin Kröger und Sabine Töfferl – die ViennAvant-Gruppe. Das Archiv der Zeitgenossen am Standort des Campus der Donau-Universität Krems ist ein Landesbetrieb, finanziert vom Land Niederösterreich. Dieses hat zwei Vorlässe angekauft, des Komponisten Friedrich Cerha und des Schriftstellers Peter Turrini, als Start für ein neuzugründendes Archiv. Dieses wurde von Architekt Adolf Krischanitz in eine unterirdische Halle eingebaut, die seit dem Campus-Neubau vorhanden war, mit einem Kubus mit vier Räumen. Sie sind gleich groß, aber aus unterschiedlichen Holzarten gefertigt – Kirsch (Cerha), Birke (Turrini). Die beiden Räume aus Eiche und Nuss sind noch leer.
2010 wurde das Archiv der Zeitgenossen eröffnet. Das Archivmaterial wurde gepackt und wird gegenwärtig katalogisiert. Das Archiv der Zeitgenossen ist auch dem Bibliothekenverbund beigetreten, einem Katalogisierungs- und Dienstleistungsverbund vorwiegend für wissenschaftliche Bibliotheken. Derzeit arbeiten ca. 80 Bibliotheken in diesem Verbund zusammen.
Wer in die beiden leeren Räume des Archivs der Zeitgenossen einziehen wird, ist noch unklar. Das Archiv hat zweifellos einen repräsentativen Charakter. Das heißt: Es muss ein großer Bestand sein. Man muss sich auch nach dem Markt richten, der Bestand muss also noch zu haben sein und nicht zu teuer. Er muss von Cerha und Turrini akzeptiert sein, die ein Mitspracherecht haben. Und die Künstler müssen einen NÖ-Bezug haben, der bei Cerha – er wohnt in Maria Langegg – und bei Turrini – er wohnt im Weinviertel – gegeben ist. Die beiden haben einander bei der Arbeit am Auftragswerk für die Wiener Staatsoper, der Oper Der Riese vom Steinfeld kennen gelernt.
Forschung und Veranstaltungen
Das Archiv ist primär eine wissenschaftliche Einrichtung. Es wird nur an dem gearbeitet, was hier ist, nahe an den Beständen. Es gibt anlassbezogene Symposien als Kooperationsprojekte mit Campus Kultur. Aus Anlass des 85. Geburtstages von Friedrich Cerha gestaltete das Archiv der Zeitgenossen eine Ausstellung zum musikdramatischen Werk dieses Komponisten, die mit dem Symposium Mechanismen der Macht – Friedrich Cerha und sein musikdramatisches Werk am 16. Juni 2011 eröffnet wurde. 2014 zum 70. Geburtstag von Peter Turrini wird es ebenfalls Veranstaltungen geben. Manchmal wird eine Lesung veranstaltet, z.B. im April 2011 mit Turrini, oder ein Gastspiel „Kindsmord“.
Kooperationen gibt es auch mit dem „Kino im Kesselhaus“ am Campus: Die Veranstaltungsreihe “Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945” der Alten Schmiede Wien und dem Adalbert-Stifter-Institut Linz gastierte am 17. Jänner 2012 hier mit einem Lese-, Vortrags- und Diskussionsabend zur “Alpensaga” mit Wilhelm Pevny, Ulf Birbaumer und Klaus Kastberger. Die TV-Serie Alpensaga Wilhelm Pevny und Peter Turrini entstand in den Jahren 1976–80 und gilt als Meilenstein der ORF-Produktionen. Die Original-Typoskripte und andere Dokumente dieser literarischen Fernseharbeit lagern ebenfalls im „Archiv der Zeitgenossen“.
Sabine Töfferl ist verantwortlich für das Cerha-Archiv. Die Bestände der „reihe“ werden ebenfalls in den Cerha-Raum kommen.
Kosten von Beständen
Bestände werden bewertet. 400.000 hat der Vorlaß Turrini gekostet und 75.000 noch das gemeinschaftliche Archiv der Alpensaga von Turrini – Pevny. Auch Preis des Cerha-Vorlasses lag in dieser Größenordnung. Diese Preise sind nur in Österreich üblich. In Deutschland wird nicht so viel bezahlt. In Marbach betrachtet man es als Ehre, wenn man dort hinein kommt. Eigentlich zahlen auch nur die Bundesländer so viel, nicht der Bund. NÖ hat eines der größten Kulturbudgets.
„Am Denkmal basteln“
Helga Köcher sprach das Problem an, dass durch solche Institutionen das Schaffen eines bestimmten Protagonisten einer Epoche aus allen anderen herausgehoben wird. Die Musikszene der Nachkriegsavantgarde bestand ja nicht nur Cerha und ein bisserl Zykan und Schwertsik. Christine Grond stimmte diesen Bedenken zu und hat vor, dieser Gefahr durch Forschungsprojekten zu begegnen, die ja erst durch ihre Kontextualisierung interessant werden. Sobald das Material der Reihe da ist, kann stärker in diese Richtung gearbeitet werden.
Gegenwärtig ist ein Onlinewerkverzeichnis von Cerha mit seinem Kontext als DACH-Forschungsprojekt geplant, gemeinsam mit Prof. Matthias Henke von der Musikuniversität Wien , der auch in Siegen, der deutschen Partneruniversität dieses Projekt lehrt, und dem Department für Bildungstechnologie der Donau Uni Krems, die gegenwärtig ein Vermittlungskonzept entwickelt. Die Datenbank soll unterschiedliche Portale für die verschiedenen Nutzer bekommen – für WissenschaftlerInnen, Schulen…. Es ist also auch ein Forschungsprojekt darüber, wie die Datenbank für verschiedene UserInnen nutzbar gemacht werden kann.
Erst wenn dieses Konzept steht, kann überlegt werden, welche Software in Frage kommt.
Ist Interdisziplinarität ein Thema im Archiv der Zeitgenossen?
Durchaus, entsprechend der Bestände. Bisher sind zwei Sparten hier. Eine Wissenschaftlerin aus Siegen arbeitet hier gegenwärtig an einer Dissertation über den Riesen vom Steinfeld.
Fotos © Archiv der Zeitgenossen
Es folgte die Führung durch das Archiv und die sehr schönen Räume. Die Dokumente sind umfangreich, die Aufführungsgeschichte ist sehr gut belegt. Auch Teile der Ausstellung zum Symposium Cerha konnten noch besichtigt werden.
Vermittlung
Für die Lange Nacht der Forschung am 27.04.2012 wird von den Kuratorinnen eine Präsentation unter dem Motto „Wie funktioniert geisteswissenschaftliche Forschung?“ für Schülerinnen vorbereitet, die den jungen Leuten die Bedeutung und Funktion eines Archivs nahebringen soll. An diesem Abend wird auch das Ernst-Krenek-Institut zu Gast im Archiv der Zeitgenossen sein, eine Privatstiftung, die gegenüber im Altgebäude der Donau-Universität situiert ist.
Im MAK
Donnerstag, 23. Februar 2012 fanden sich sechs Kunstwissenschaftlerinnen, eine Germanistin , eine Theaterwissenschaftlerin und ein Musikwissenschaftler zu einem ViennAvant-Archivgespräch in der Ausstellung Walter Pichler. Skulpturen Modelle Zeichungen im MAK ein. Die Kuratorin Bärbel Vischer führte die Gruppe.
Die Führung
Die Ausstellung zeigte Walter Pichlers Kontinuität: Im Mittelpunkt der vom Künstler selbst entwickelten Zusammenschau stand seine figurative Plastik aus den 1970er Jahren bis heute, ergänzt durch Modelle und Zeichnungen als Ausgangspunkt seiner Arbeiten.
Die Ästhetik seiner kultischen Figuren hat sich in all diesen Jahrzehnten nicht verändert. Pichler arbeitet sehr langsam, oft viele Jahre an einer Skulptur oder einem Thema, wie etwa in der Werkgruppe von Skulpturenbetten (1971–2011), die eindrucksvoll in der Ausstellung präsentiert ist. Für diese Serie „Krankheit – Tod“ hat er ein aus 1970 stammendes Bett aus dem AKH verwendet.
Foto rechts: Eine Schlüsselarbeiten: das „Porträt Walter Pichler“ von Dieter Roth als Doppelfigur
Tod und Trauma sind immer wieder Themen für Pichler, betonte Vischer. In Meran habe er eine Ausstellung zum Thema Euthanasie gestaltet, in der er bewegliche Figur positioniert habe. Die Schau habe sich auf die Zeit des Nationalsozialismus bezogen, in der in Hall in Tirol eine Anstalt war. Er habe einen subtilen Zugang zum Thema gefunden und die Ausstellung „Für meine Mutter“ gewidmet.
Seine frühen innovativen plastischen Arbeiten dagegen hat er schon lange nicht gezeigt. Die bahnbrechenden in der Reflexion der gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Ereignisse der 1960er Jahre entstandenen „Prototypen“ waren Applikationen mit dem Impetus, den Körper als architekturalen Raum zu erweitern. Man könnte diese Arbeiten als Vorläufer der Pass-Stücke von Franz West sehen. Pichler verwendete damals neue Materialien wie Kunststoffe oder Aluminium sowie pneumatische Elemente. Diese späteren medialen Entwicklungen vorgreifende Werkphase mit TV Helmet (1967) oder Galaxy Chair (1966) ist für ihn abgeschlossen.
Weiterhin beschäftigt ihn jedoch das Spannungsverhältnis von Skulptur und Architektur. In Aldrans in Tirol hat er einen unterirdischen Ausstellungsraum geplant für einen privaten Sammler, der demnächst eröffnet wird.
Die Materialien der in der MAK-Ausstellung präsentierten Werke sind archaisch – Lehm, Stein Knochen, Holz, Metall. Er bearbeitet sie subtil.
Pichler verkauft keine Skulpturen, nur Zeichnungen. Alle Figuren stammen aus seinem Wohnort St. Martin. 1972 hat er dort ein altes Gehöft gekauft und das Ambiente zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet.
Das Gespräch
Das Gespräch im Kaminzimmer kreiste um die Frage der Rolle Walter Pichlers in den Nachkriegsavantgarden. Bärbel Vischer betonte Pichlers Position als Ausnahmekünstler. Er habe nie konkrete Arbeiten mit Künstlerkollegen realisiert, obwohl er mit Kippenberger und Kocherscheidt, die in der Nähe wohnten befreundet war. Vischer sieht eher Verbindung zu Joseph Beuys. Pichler sei auch Initiator der Joseph Beuys-Ausstellung in der Galerie St. Stephan gewesen. 1996 kam ein von der deutschen Bank editierter Band mit Zeichnungen von Walter Pichler und Joseph Beuys und einem Text von Beuys heraus.
Vischer belegte den Bezug Pichlers zum Historischen. Er hatte Vorbilder in der Avantgarde. In Paris hat er Brancusi kennen gelernt und war fasziniert von der Verbindung Architektur und Skulptur. Wichtig war auch für ihn Friedrich Kiesler, den er in NY traf. Delegiert habe Pichler nichts, was untypisch war für den damaligen Kunstmarkt. Er sei nicht beeinflusst worden, sondern habe beeinflusst. Z.B. sei das von Raimund Abraham entworfene Austrian Cultural Forum in NYC die architektonische Ausarbeitung einer Skulptur Walter Pichlers.
Seine Figuren wirken sakral. Sie erinnern an Mumien, wie einer aus der Gruppe feststellte. Auch seine unterirdische Architektur vermittle einen Ägypten-Bezug. Vischer dazu: Pichler trägt seine Skulpturen und lässt sich damit fotografieren. Der jeweilige Raum für die Skulpturen wird inszeniert. Er muss eine ganz bestimmte Gestaltung haben und die Fenster eine ganz bestimmte Lichtführung. In einem Fall sei es ihm wichtig gewesen, die Regenrinne durch den Raum zu führen, hat Tröge angebracht, einen innen und einen außen. Es gibt Häuser, die offen sein und geschlossen werden können. Fast immer baut er sie nach Fertigstellung einer Skulptur, an der er bis zu 10 Jahre arbeitet. Nur einen Turmbau gibt es, den er vor der Skulptur fertig gestellt hat. Pichler habe aber nie eine Kirche gebaut, habe dahingehende Aufträge immer verweigert.
Einen Bezug zu Hermann Nitsch und seinem rituellen Verständnis verneinte Kuratorin Vischer jedoch. Pichler habe sich ein eigenes Kunstsystem geschaffen. Auf die Frage nach seiner Entwicklung berichtete sie, dass Pichler geäußert habe, es sei gut, dass sich seine Skulpturen in den Jahrzehnten kaum verändert haben. Dadurch erreiche er natürlich auch eine bestimmte Exklusivität, fand eine Teilnehmerin.
Helga Köcher stellte den Text von Walter Pichlers Architekturmanifests aus 1962 zur Diskussion und problematisierte dessen elitär-dominante Sprache.
Andrea Hubin vertrat die These, die Bauhausarchitektur sei von Ex-Nazis wieder aufgenommen wurden und als „menschliche Architektur“ promotet worden. Federführend im Diskurs der „guten Form“ sei damals die Kulturzeitschrift Magnum gewesen mit ganzseitiger Live Fotografie. Der Herausgeber sei der aus der Nazizeit belastete Karl Pawek gewesen. Dagegen habe sich dieses Manifest gewendet. Hollein und Pichler hätten sich dagegen mehr an der frz. Revolutionsarchitektur von Le Doux, Boullée und Lequeu orientiert.
Hier gibt es zweifellos noch großen Diskussionsbedarf darüber, wie die damaligen Positionen und Diskurse zu bewerten sind. Denn die Zeitschrift Magnum war andererseits ein Medium, in der wichtige kritische Geister der Nachkriegszeit wie Jean Améry, Walter Benjamin, Heinrich Böll, François Bondy, Jürgen Habermas, Siegfried Lenz, Max Bill publiziert haben, ebenso Mitglieder der Wiener Gruppe H.C. Artmann, Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm. Das Netzwerk ViennAvant bietet sich als Plattform weiterführender Recherchen und Diskussionen an.
Kunsthistorikerin Katharina Jesberger fiel auf, dass im Katalog das Abschlussdatum des Studiums von Walter Pichler an der Angewandten mit 1955 angegeben steht. Inzwischen hat die Recherche der Kunsthistorikerin Mizzi Schnyder ergeben, dass es sich dabei um einen aus Wikipedia übertragenen Fehler handelt. Auf der Website der Sammlung Generali Foundation steht offenbar richtig: „1955 bis 1959 absolvierte er ein Grafikstudium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.“
Wie geht es weiter im MAK?
Es wird eine Neugestaltung im November geben.
Drei Ausstellungen sind geplant: Eine mit dem Schwerpunkt Wiener Werkstätte wird Heimo Zobernig gestalten, eine weitere zu Architektur Manfred Wakolbinger und schließlich eine zum Thema „Wien um 1900“ (1880 – 1930) ein Künstler, der noch nicht genannt wird und gleichzeitig auch eine Einzelausstellung haben wird.
Die Wiener Moderne ist Schwerpunkt des MAK. Weiterhin wird es natürlich Einzelausstellungen im MAK geben. Zunächst Klimt, dann Design mit Gegenwartskunst. Die Design-Sammlung des MAK ist zwar klein und die Objekte sind zum Teil in anderen Sammlungen, etwa der Möbelsammlung integriert. Zukunftsweisend ist jedoch der 1990 gegründeten Design-Info-Pool (DIP) – die größte öffentlich zugängliche bebilderte Datenbank zu österreichischem Design. Der Designbegriff spannt sich von industrieller Produktion über handwerkliche Fertigung bis hin zum künstlerischen Einzelstück; vom Gebrauchsgegenstand über Mode, Grafik- und Mediengestaltung bis hin zu Grenzbereichen in Architektur und bildender Kunst.
Der Kustode für Design Thomas Geisler plant eine Ausstellung „Design for you“, die soziale und ökologische Aspekte einbezieht und die Brücke zur Wirtschaft visualisiert. Für Architektur ist als Kustodin Bärbel Vischer zusammen mit Gegenwartskunst zuständig.
Im Leopoldmuseum
Am Freitag, 27. Jänner 2012 tauchte eine kleine Gruppe von Kunsthistorikerinnen, Theaterwissenschaftlerinnen und Germanistinnen wieder tief in die Welt des Aktionismus ein. Ein Besuch der Ausstellungen Melancholie und Provokation und Hermann Nitsch – Strukturen architekturzeichnungen, partituren und realisationen des o.m. theaters im Leopoldmuseum stand am Programm.
Der Kurator des Schwarzkogler-Raums in der Ausstellung “Melancholie und Provokation” Aktionismusexperte Hubert Klocker bot der Gruppe eine genz spezielle Führung. Nicht nur die Persönlichkeit und die Entwicklung des Künstlers Rudolf Schwarzkogler brachte Klocker nahe. Er gab auch Einblicke in Fragen der Gestaltung eines Ausstellungsraums und der Wirkung kuratorischer Inszenierung.
Klocker hat sich in dieser Schau nur auf die 3. Schwarzkogler-Aktion konzentriert und sie mit einer Auswahl von Schiele-Arbeiten einer Selbstbespiegelung des männlichen Körpers konfrontiert. Er wollte ausprobieren: Wie klassisch kann man Schwarzkogler im Museum präsentieren? Wie funktioniert das Foto? Was kann man mit dem Kanon der Körperinszenierung erreichen? Seine Idee für diesen Raum war es, Rudolf Schwarzkogler „ins Gespräch“ mit Egon Schiele zu setzen – zwei Männer der Kunst des 20. Jhdts, die im gleichen Alter, mit 28 Jahren tragisch verstorben sind, Schiele an der Spanischen Grippe, Schwarzkogler an einem vermuteten Selbstmord.
Zur Biografie Rudolf Schwarzkogler
Schwarzkogler begann mit Malerei und Objekten (ca. 10 Stück), in seiner Strenge zerstörte aber viel. Er war kein „abstrakter Expressionist“ wie die anderen, er kam nicht von Pollock, nicht vom Informel, sondern orientierte sich eher an Yves Klein, war kühler, distanzierter.
Nachdem er sich an Aktionen von Otto Muehl und Hermann Nitsch beteiligt hatte, führte zwischen 1965 und 1966 sechs eigene Aktionen aus – im Unterschied zu anderen Aktionisten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur Freunde und Fotografen durften anwesend sein.
Die Aktionisten haben die Kamera als Instrument zur Überprüfung eingesetzt. Das Bild gab ihnen die Möglichkeit der Reflexion, die in der Aktion selbst nicht möglich war. Bei Schwarzkogler ist die Fotografie medienreflexiv im Sinn von medienanalytisch. Es ging ihm um das Schaffen von suggestiven Bilddeutungen. Zumeist hat er mit Heinz Cibulka als „Modell“ gearbeitet. Bei der letzten, von Michael Epp fotografierten Aktion hat er sich, mit Binden entpersonalisiert, selbst in den Raum begeben und versucht den Prozess zu erleben.
„Hat er sich an Philosophen, Theoretikern orientiert?“ – „Nein, damals gab es nicht diesen theoretischen Diskurs.“
Schwarzkogler hat innerhalb eines Jahres das Thema Aktion abgeschlossen. Danach arbeitet er ausschließlich an Ideen für Rauminstallationen und Erlebnisräume. Er geriet in eine psychotische Situation. Texte erzählen von halluzinatorischen Erlebnissen. Er beschäftigt sich mit Selbstreinigung – ein Thema, das alle Aktionisten mehr oder minder bewegte. Das Bedürfnis, zu einer neuen Bestimmung des Körpers zu kommen, hing mit der politischen Situation zusammen und der Aufarbeitung des Kriegs und seiner Folgen. Schwarzkoglers Vater war Arzt und hatte sich nach einer schweren Kriegsverletzung das Leben genommen. Mühl war im Krieg. Schwarzkogler verwendete medizinisches Gerät bei seinen Aktionen. Sie sind von einer metallischen Kälte.
Der Wunsch nach Selbstheilung verdichtete sich bei Schwarzkogler. Hermann Nitsch war zu der Zeit in München und wollte Schwarzkogler nach München holen um ihm eine Analyse zu vermitteln. Denn in Wien war die Psychiatrie damals etwas massiv Gewaltsames.
Heinz Schlögelhofer, ein gemeinsamer Freund von Nitsch und Schwarzkogler, der auch gemalt hatte, aber später alles zerstört, war 1962 – 64 in psychiatrischer Behandlung und wurde mit Elektroschocks fertig gemacht. Das wollte man Schwarzkogler nicht antun.
Sein Sturz aus dem 4. Stock 1969 gab Anlass zur Legendenbildung.
Zu Lebzeiten hatte Schwarzkogler nie eine Ausstellung. Erst 1972 wurden von ihm posthum “Texte, Skizzen und Fotos zu Aktionen, 1965 – 1969” auf der Documenta 5 in Kassel gezeigt.
Eine besondere Note bekam das Archivgespräch durch die Fachdialoge zwischen Hubert Klocker und Johanna Schwanberg, die in der Folge durch den von Anni Brus, der Frau des Künstlers gestalteten Brus-Raum führte.
Viele sehr spezielle Aspekte der Aktionen und der Aktionismusfotografie kamen zur Sprache.
Welche Rolle spielten die Fotografen? Wie groß war ihr Gestaltungsspielraum bei der Entwicklung der Filme? Gab es spezielle Bildwinkel? Was waren die Motive der Fotografen? – Im Wesentlichen gab es die beiden Fotografen Ludwig Hoffenreich und Khasaq (Siegfried Klein). Khasaq hat die Mühl-Aktionen extrem ästhetisch fotografiert, eine Aktion von Mühl hat auch Franz Hubmann aufgenommen, ebenfalls stark ästhetisiert. Hoffenreich dagegen, der von Mühl motiviert wurde, für Aktionen zu fotografieren, war Pressefotograf und hatte keine künstlerische Ambition. Er hat sich immer neutral positioniert, kam im weißen Mantel und in Gummistiefeln. Es gibt ein Interview mit Hoffenreich und Francesco Conz. Hoffenreich spricht in einem gewähltes Hietzinger Idiom über die Aktionen “Eigentlich ist es ja nicht meine Sache. Meine Frau und ich gehen gern in den Musikverein. Aber ich muss schon sagen, was diese jungen Leute machen. das ist sehr interessant.”
Alle Fotos sind im Originalformat 6×6. Die Fotografen haben den Künstlern, die ja kein Geld hatten, die Filme finanziert und nur die Kontaktabzüge gegeben. Nach Tod von Schwarzkogler waren Brus, Nitsch und seine Lebensgefährtin Edith Adam Nachlassverwalter. Erste Abzüge wurden für Ausstellung in der Galerie St. Stephan gemacht. Günter Brus hat dann in Berlin Francesco Conz getroffen, der sich für den Aktionismus begeisterte und zu einem großen Förderer wurde und von Brus zum Aufbau eines Fotoarchivs motiviert wurde. Start war 1972 mit Schwarzkogler in einer ersten Auflage im Kleinformat. Es gibt etwa 500 Sujets. Nach documenta hat Krinzinger mit Edith Adam begonnen zu arbeiten.
Der Brus-Raum in der Ausstellung wurde von der Frau des Künstlers, Anni Brus gehängt und fokusiert auf das Verhältnis männlicher / weiblicher Körper.
Günter Brus machte in Graz an der Kunstgewerbeschule eine Ausbildung zum Werbegrafiker und erwarb sich den souveränen Umgang mit Text und Bild. Danach ging er zum Studium der Malerei nach Wien an die Akademie der Bildenden Künste, wo er Alfons Schilling kennen lernte. Beeindruckt vom Expressionismus arbeitete er informell und radikal gestisch.
1963 Arbeit am “Labyrinthischen Raum”. Mit der Lösung von der Figur begann er mit der Arbeit am Körper
1964 führt Brus seine erste Aktion „Ana“ in Wohnung von Otto Mühl durch. Kurt Kren filmte, Khasaq und Otto Mühl fotografierten.
Zu einem Text von Günter Brus über diese erste Aktion
Von Beginn an war es für ihn wesentlich, den eigenen Körper ins Zentrum der Aktion zu stellen. Er löste sich vollständig von der informellen Malerei und führte zahlreiche Aktionen durch.
Zum Text von Johanna Schwanberg AKTEURINNEN IM AKTIONISMUS
In der Arbeit mit seiner Frau Anni spürt er dem Genderverhältnis nach, versucht, den weiblichen Körper als das Ruhende Weiche freizulegen. Blickt auf den eigenen Körper, die feminine Seite. Wie fühlt es sich an in einem weiblichen Körper, mit Strapsen?
1966 gründet Brus mit Kren, Muehl, Nitsch und Weibel das Institut für direkte Kunst und entwarf mit Muehl die Idee der Totalaktion als Verbindung der Materialaktion Muehls und der Brus´schen Selbstverstümmelungen. Eine erste Probe zeigten sie am Destruction in Art Symposium in London.
1966 entstand auch die Aktion „Vitriol-Kabinett“. Nun, 2012, hat Brus diese Serie erstmals im Museumskontext gezeigt.
Brus schreibt dazu:
“Geplant hatte ich ein ,Leibbild’, sozusagen ein Gemälde nach alter Weise, aber mit einem „direkten Modell“. Anni war im 4. Monat schwanger, willigte aber dennoch einer Mitarbeit ein. … Ich fertigte für diese Aktion eine Menge von Skizzen, die vermutlich zum größten Teil verschollen sind. Diese Aktion hatte ich zur Zeit ihrer Entstehung nicht betitelt. Nachträglich nenne ich sie „Das Vitriolkabinett“, der ästhetischen Absicht von damals entsprechend.“
Mitten in die Aktion, die in der Brus’schen Vorstellung Grün und Pink enthalten sollte, platze ein Haufen lärmender, feiernder Künstlerfreunde und störte die Arbeit.
1967 setzte er sich mit dem Thema der Geburt auseinander und integrierte in seine 23. Aktion seine kleine Tochter Diana. Die Arbeiten von Brus gingen weiter in Richtung totaler Körperanalyse. 1970 brach er die Aktionskunst ab.
Bei Günter Brus ist noch viel stärker als Schwarzkogler die Linie zu Schiele zu verfolgen: in der Dehnung des männlichen Körpers, im nervösen Strich.
Parallelen zwischen Schiele und Brus sind auch ihre Konflikte mit der Justiz – Gefängnis bei Schiele, bei Brus nach dem Uni Skandal die Flucht ins Exil.
Nach dem Aktionismus folgt bei Brus eine lange gegenständliche Periode.
Er stellt Bäume dar – auch hier ein Bezug zu Schiele.
Wo hört die Avantgarde auf? Brus ist Pionier im Erkennen des Scheiterns am Avantgardebegriff. Auch dieser Weg fand schließlich Anerkennung.
Abschließend gab Hubert Klocker einen Ausblick auf das neue Aktionismus-Buch, das er demnächst mit Eva Badura-Triska in einer deutschen und einer englischen Fassung bei König herausbringen wird.
Reflexionsgespräche in kleiner Gruppe und eine kurze Besichtigung der Ausstellung Hermann Nitsch beendeten den intensiven Nachmittag.
Im Unteren Belvedere
Das Archivgespräch am 13. Jänner 2012 in der Orangerie des Unteren Belvedere brachte die Begegnung mit einem sehr interessanten und in der Rezeption viel zu wenig beachteten Künstler der Nachkriegszeit. 6 Kunstwissenschaftlerinnen, eine Theaterwissenschaftlerin und eine Germanistin hatten sich zur Führung mit dem Kurator Harald Krejci durch die Ausstellung Curt Stenvert. Neodadapop eingefunden.
Harald Krejci hatte die Ausstellung als umfassende analytische Aufarbeitung von komplexen Systemen konzipiert. Dahinter stand die Idee, das Laboratorium, die Experimentierstelle des Curt Stenvert darzustellen in Wechselwirkung zwischen dem Bildenden Künstler und dem Filmer. Bisher waren diese Seiten nur getrennt gezeigt worden und damit war die Methode auf der Strecke geblieben. In dieser Kontextualisierung jedoch, in der die Objekte miteinander agierten, eröffnete die programmatische Ausstellung wesentliche Einblicke in die Epoche der 60er- und 70er-Jahre.
Curt Stenvert studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Albert Paris Gütersloh Malerei, aber auch kurz Bildhauerei bei Fritz Wotruba sowie Theater- und Filmwissenschaften. Er war Gründungsmitglied des Art Clubs und zunächst vom Surrealismus beeinflusst und mit Ernst Fuchs und anderen Protagonisten der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ befreundet. Ab 1946 interessierten ihn vor allem die Darstellungsmöglichkeiten von Bewegung. Inspiriert von der Phasenfotografie entstanden 1947 die ersten großen Bewegungsbilder, in denen Stenvert Elemente des Futurismus, Konstruktivismus und Kubismus miteinander verband. Schlüsselwerk ist der „Violinspieler in 4 Bewegungsphasen“ – die erste konstruktivistische Plexiglas-Skulptur nach dem 2. Weltkrieg, die in Basel prominent zusammen mit Werken von Calder und Picasso ausgestellt war. Leider ist sie nicht mehr erhalten.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Bewegung führte Stenvert in den 1950er Jahren zu eigenem filmischem Schaffen. Ein Förderer von Stenvert war der damalige Kulturstadtrat Viktor Matejka. Durch ihn bekam er ein Volontariat als Cutter bei der Wien Film und wurde mit den szenischen Aufbauten im Film Eins, zwei, drei – aus! mit Hans Moser beauftragt, in dem die Plexiglas-Skulptur „Violinspieler in 4 Bewegungsphasen“ zu sehen war. Von Matejka bekam Stenvert auch Aufträge zu didaktischen Lehrfilmen für Schulen.
1951 realisierte er gemeinsam mit Wolfgang Kudrnofsky den ersten österreichischen Avantgardefilm der Nachkriegszeit “Der Rabe” nach E. A. Poe. Stenverts erster abendfüllender Spielfilm Wienerinnen im Schatten der Großstadt (1951–52) ist eine Sozialstudie über das Leben der Wiener Ziegelarbeiter, „Strizzis“ und Prostituierten. Der vom Neoverismo beeinflusste Kriminalfilm “Flucht ins Schilf” (1953) wurde binnen eines Jahres in 14 Ländern verkauft. Es gab damals in Österreich kein Kapital für Film. Filme wurden auf Kredit gedreht und mussten Geld einspielen.
Begleitend zur Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmarchiv eine Retrospektive der wichtigsten Filme Curt Stenverts programmiert. Einige Filme waren aber auch in der Ausstellung zu sehen – der legendäre „Rabe“, der Streifen „Gigant und Mädchen“ aus 1955, in dem eine behinderte Telefonistin als Protagonistin mit einer Tänzerin in Überblendungen, Verzerrungen, Doppelbelichtungen oszilliert, und Stenverts letzter, 1962 mit dem Silbernen Bären der XII. Internationalen Filmfestspiele Berlin ausgezeichnete Film „Venedig“.
Curt Stenvert, “Wissenschaftlicher Selbstversuch”, 1962
1962 begann sich Curt Stenvert der Objektkunst zu widmen. Die von ihm als „Menschliche Situationen“ bezeichneten Bildkästen dokumentieren seine Auseinandersetzung mit Themen der Gegenwart wie Konsumverhalten, Politik, Technik, sowie zu den überzeitlichen Grundbedingungen des menschlichen Seins, die er in Vitrinen wie auf einer kleinen Bühne inszenierte.
Er arbeitete zunächst mit Alltagsgegenständen, verarbeitete Abfall- und Flohmarktfunde oder kreierte vertraute Objekte, die er für seine Installationen in ungewohnte Kontexte stellte. Sein Ziel war es zu verfremden, zu ironisieren und den Betrachter zu neuen Sichtweisen und Erkenntnissen anzuregen.
Zeitgemäß interpretierte Stenvert Kunst als soziales Medium und gab mit Arbeiten wie „Vanitas“, „Die wahre Humanität lieg im Bereithalten von Ersatzteilen“, „Welt nach dem atomaren Erstschlag“. “Wozu Geburtenkontrolle? Bereitet den Krieg vor!“, “Mensch sein müsssen Schiffbruch im All”, “Weg mit dem nicht stinkenden Geld”, „Kupferne Beute“ oder “Stahlblumen“ den Studentenunruhen, den Bürgerprotesten und dem Antikriegsaktivismus eine eigene Sprache, die der „Existenzerhellung über das Auge“ dienen sollte.
Frau und Technik ist ein Thema von ihm. Er steigt in die Feminismusdebatte der 60er-Jahre ein. „Der Frau wurde sehr viel Unrecht angetan“ Eine ganze Reihe von Objekten setzen sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinander. „Lesbia contra Motor“ „Die Pariserin“ „Die 25. menschliche Situation. Statt einer Frau einen Milchwagen im Bett vorfinden“
Marcel Duchamp, „Boite-en-valise”
In der Gegenüberstellung mit Werken von Marcel Duchamp, Richard Lindner, Wolf Vostell, Daniel Spoerri und Arman werden Stenverts Bezüge zu Neosurrealismus, Pop-Art, Neodada, Fluxus und Nouveau Réalisme aufgezeigt.
Als Vertreter Österreichs auf der XXXIII. Kunst-Biennale Venedig 1966 formulierte Stenvert sein Credo „Ich lebe für die funktionelle Kunst!“ Kunst sei nicht Selbstzweck sondern habe als Erkenntnis-, Kraft- und Energiequelle einen Nutzen für die Gesellschaft zu erbringen. Es ging ihm darum etwas zu bewirken. Er vertraute nicht dem Material, der Form, sondern sehr stark den Inhalten.
1967 vollendete Stenvert in Aufarbeitung seiner Kriegserlebnisse das aus drei Vitrinen bestehende Objekt Stalingrad – die Rentabilitätsrechnung eines Tyrannenmordes. Die überdimensionale Installation wurde 1967/68 im Musée d’art moderne de la Ville de Paris und im Musée National d’Art Moderne Paris gezeigt und war ein Anstoß für Historiker in Frankreich zur Aufarbeitung der Geschichte.
Für die Weltausstellung in Montréal, die Expo 67 kreierte Stenvert eine sieben Meter hohe und zwölf Tonnen schwere Plastik, über die sich Informationen in acht verschiedenen Sprachen abrufen ließen – die erste windbewegte Stahlplastik.
Zu Beginn der 1970er Jahre begann Stenvert wieder verstärkt zu malen. 1971 entstand das Manifest zur Bio-Kybernetischen Malerei, worin er das Konzept der Funktionellen Kunst und der „lebenslogischen Humanitas“ weiterentwickelte. Um die Wirkung seiner Bewegungsbilder zu steigern, setzte Stenvert ab den 1970er Jahre auf eine dekorative Flächigkeit in der Darstellung, die er mit einer breiten, leuchtenden Farbpalette und Goldgründen verband.
Stenvert übersiedelte schließlich zunächst nach Mannheim und dann nach Köln, lehrte an den Kunsthochschulen von Kassel und Karlsruhe. In Österreich war er aber nachdem er sich nie einem Lager zurechnete, sondern die Zwischenräume besetzte, durch Grabenkämpfe eher an den Rand gedrängt.
Archivgespräche 2011:
Im Essl-Museum
Freitag, den 14. Oktober stand wieder eine Exkursion auf dem Programm: Eine Gruppe von 7 Architektur-, Kunst-, Medien-, Literatur- und TheaterwissenschaftlerInnen folgte der Einladung zu einem vielfältigen Archivgespräch ins Essl-Museum nach Klosterneuburg und wurde einen ganzen Nachmittag lang durch die fünf aktuellen Ausstellungen sowie durch einige Abteilungen des Depots geführt.
Gedächtnisausstellung Markus Prachensky
In der kleinen Markus Prachensky-Gedächtnisausstellung, die spontan anläßlich des Todes des Künstlers eingerichtet wurde, begrüßte Kurator Günther Oberhollenzer die Gruppe.
Der Künstler Markus Prachensky gilt als eine der führenden Persönlichkeiten der österreichischen Avantgarde. 1956 gründet er gemeinsam mit Wolfgang Hollegha, Josef Mikl und Arnulf Rainer die Künstlergruppe „St. Stephan” deren Hauptförderer Monsignore Otto Mauer ist. 1959 führt er im Theater am Fleischmarkt in Wien erstmals die „Peinture liquide” vor, bei der er mehrere hundert Liter rote Farbe über eine aufrechte Wand gießt. Jahrelang setzt der Künstler nur vehementes Rot ein. Später erweitert er die Malpalette um die Farben Grün, Violett, Schwarzbraun und Gelb.
Das Museum und die Sammlung
Das Essl Museum finanziert sich zur Gänze privat, ohne Steuergelder. KH Essl sammelt seit 40 Jahren. Er und seine Frau haben sich langsam den Zugang zur zeitgenössischen Kunst erarbeitet, zum Teil hart erkämpft. Das Sammlerehepaar pflegt einen sehr persönlicher Kontakt zu seinen Künstlerinnen und Künstlern, besucht sie in ihren Ateliers und entwickelt die Sammlung stetig und mit großer Begeisterung weiter.
1987 wurde das Schömerhaus als Bürogebäude der Schömer-bauMax-Unternehmensgruppe vom Architekten Heinz Tesar erbaut und gleichzeitig als Ausstellungshaus der Sammlung Essl und als Konzertsaal konzipiert. Damals war es ungewöhnlich, dass eine Firma ein Haus hat, wo man zeitgenössische Kunst sieht, die auch für die MitarbeiterInnen zugänglich ist.
Nachdem als Ort für die immer umfangreichere Sammlung kurz einmal das MQ und auch das Künstlerhaus in Erwägung gezogen waren, wurde ebenfalls Heinz Tesar mit dem Bau des Essl Museums beauftragt, das 1999 eröffnet wurde.
In den 3500 m² umfasssenden Ausstellungsräumen werden 8 – 10 Ausstellungen pro Jahr gezeigt – eigentlich zu viel. Der Kurator wünscht etwas weniger um konzentrierter arbeiten zu können. Als Privatmuseum ist das Essl Museum unabhängig von BesucherInnenzahlen und kann dadurch frei arbeiten. Die Politik ist ja auf BesucherInnenzahlen fixiert, deshalb gibt es in den öffentlichen Museen die traurige Reduktion auf das Quantitative – vor einer Ausstellung. „Wie viel Versicherungswert haben die Bilder?“ und nachher „Wie viel BesucherInnen waren da?“
Die BesucherInnenzahlen gehen oft nicht konform mit der Bedeutung einer Ausstellung. Oft sind die Ausstellungen, die Geschichte machen, nicht so erfolgreich bezüglich ihrer BesucherInnenzahlen – z.B. 2003 „Blut und Honig“ von Harry Szeemann, die nicht so gut besucht war, obwohl als legendäre Ausstellung gilt. Oder die Israel – Palästina-Ausstellung, von der heute noch gesprochen wird und die medial gut rezipiert wurde. Es war aber schwer, Schulen dahin zu bringen. Im Gegensatz dazu war die Aborigines-Ausstellung ein riesiger Erfolg. Exotik zieht eben immer.
Aber auch die Weiler-Ausstellung war ein Riesenerfolg. Hier war die kunsthistorische Forschung Teil des Ausstellungskonzepts, für die sich die Witwe Weilers besonders engagierte. Im allgemeinen ist jedoch für die breite inhaltliche wissenschaftliche Arbeit zu wenig Zeit.
Für das nächste Jahr sind unter anderem eine Video-Ausstellung geplant, Anselm Kiefer wird groß gezeigt – und eine Schau Franz Zadrazil.
Das Essl Museum bietet Gratiseintritt für Studierende jedes Alters und ebenso für KünstlerInnen. Probeweise wurde im Jubiläumsjahr kein Eintritt verlangt. Das hat nicht gut funktioniert, denn die Haltung ist eben da „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Und das schadet im Grunde dem Museum. Das Museum soll nicht „billig“ rüberkommen.
Jedes 2. Jahr gibt es eine Emerging Artist-Ausstellung. Ferner wird jährlich der Essl Art Award CEE ausgeschrieben, verbunden mit Ausstellung und Geldpreis, der für Kunststudierende aus osteuropäischen Ländern ein Sprungbrett in den Westen ist.
Ab 1989 ist die Sammlung international geworden und wurde auch um Fotografie und Neue Medien erweitert. Schwerpunkte neben österreichischer Kunst sind Zentral und Südosteuropa, USA, Mexiko, China, Indien. Was in die Sammlung kommt, bleibt in ihr, es gibt keinen Handel, allerdings etwa 600 Leihgaben pro Jahr.
Das Museum ist ein „Fass ohne Boden”, die Fixkosten sind extrem hoch. Es hat über 50 MitarbeiterInnen, davon allein 7 fix angestellte KunstvermittlerInnen. Permanent wird Kunst angekauft.
Einkünfte kommen aus den Vermietungen, Eintritten, Leihgebühren und dem Bookshop. Die Wirtschaftskrise wirkt sich aus. Aber es gibt die Stiftung, so dass das Museum gesichert ist.
Ausstellung Hinter den Gärten. Neo Rauch und Rosa Loy
Nach einem Abriss über die Geschichte der Sammlertätigkeit des Ehepaars Karlheinz und Agnes Essl und die Entwicklung des Museums führt Günther Oberhollenzer die Gruppe in die Ausstellung “Hinter den Gärten” des prominenten Künstlerpaars Neo Rauch und Rosa Loy, eine Schau, die Einblick in ihre Bild- und Lebenswelten gibt. „Alles ist auf uns, auf unsere Beziehung und auf die Spannung in unserem gemeinsamen Leben und in unserer Arbeit ausgerichtet“, betont Rosa Loy.
Auch wenn Neo Rauch und Rosa Loy fern der Nachkriegsavantgarden sind, so sind vor allem an der Arbeit Neo Rauchs interessante Bezüge zu verfolgen – etwa zum sozialistischen Realismus, der die beherrschende Richtung seiner Studienjahre in Leipzig war. Man ist gleich in Rauch’s Bild drin, – meist eine Dreieckskomposition von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, – aber wirklich entschlüsseln kann man es nie. Er schöpft aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit der Deutschen, auch der ganzen Welt und sie sie malerisch in Unheimliches, Gewaltvolles, spricht von seiner Intention, die Menschen an den Abgrund zu führen, während Rosa Loy sie lieber “rundherum um den Abgrund” begleitet.
Dass gerade die beiden Arbeiten von Rauch aus 1993 nicht figural sind, wirft Fragen auf. Sein Frühwerk, das diese Fragen vielleicht beantworten könnte, hält Rauch jedoch unter Verschluss.
Ausstellung Focus: Abstraktion
Ein Kern des Interesses der Gruppe ist die Schau “Focus:Abstraktion” mit exemplarischen Arbeiten u.a. von Josef Mikl, Roland Göschl, Florentina Pakosta, Frank Stella, Gunter Damisch, Franz Grabmayr, Peter Krawagna, Hannes Mlenek, Sarah Morris, Hubert Scheibl.
Ein besondes schöner Raum ist Hans Bischoffshausen (1927 – 1987)gewidmet. Er zählt zu den wichtigsten und unbequemsten Vertretern der experimentierenden europäischen Avantgarde in den 50/60er Jahren. 1959 übersiedelte er nach Paris, wo er mit seiner Familie in bitterster Armut lebte, wurde Mitglied der “ZERO-Avantgarde” und schloß enge Freundschaft mit Lucio Fontana. 1972 ging er wieder zurück nach Kärnten. Materialbilder entstehen, die Bildflächen werden gelocht, gebrannt, die Bildinhalte auf das Wesentliche reduziert. In seiner kompromißlosen Denkweise konnte er sich aber nie wirklich durchsetzen. In der von ihm herausgegebenen Kunstzeitschrift schrieb er: “die gegenwärtige philosophie hat, die “wahrheiten” ERFOLG und KARRIERE auch in den kunstbetrieb ausstrahlend, eine kunst der museen, der sammlungen und der galerien geboren, die, dissoziiert vom leben als ganzheit, aufgeblasen durch eitelkeit und propaganda nur noch ein schatten ihrer eigentlichen bestimmung ist.” (brot und wein – Beobachtungen und Bemerkungen zur Integration der bildenden Kunst und die Architektur; Paris, Juli/August 1965)
Ausstellung Wolfgang Herzig
Wolfgang Herzig (*1941) war 1968 neben Kurt Kocherscheidt, Martha Jungwirth, Peter Pongratz, Franz Ringel und Robert Zeppel-Sperl an der von Otto Breicha für die Wiener Secession kuratierten Ausstellung Wirklichkeiten beteiligt. Der Ausstellungstitel blieb den sechs als Gruppenname haften, obwohl sie nie eine wirkliche „Gruppe“ bildeten. Teilweise schon vorher Studienkollegen und befreundet, hatten sie aber um 1970 wiederholt miteinander ausgestellt, „bis dann bald jeder seine eigenen Wege gegangen ist“. Herzig selbst hatte noch 1970 eine größere eigene Werkschau in der Wiener Secession, nachdem er Mitglied dieser Künstlervereinigung geworden war.
Im Depot
Faszinierend war die Führung durch einige Abteilungen des riesigen Depots: Die sechs klimatisierten Depoträume im Erdgeschoß umfassen insgesamt 2.500 m2. Hier befinden sich die 7.000 in der Sammlung befindlichen Kunstwerke, angegliedert sind Restaurierung, Werkstätte, Technik und Depotverwaltung.
Die Sammlung Neuer Medien ist in einer Kühlkammer aufbewahrt.
Ausstellung Schönheit und Vergänglichkeit
Den Abschluss des langen Nachmittags bildete ein Besuch der Ausstellung >SCHÖNHEIT UND VERGÄNGLICHKEIT< mit ausgewählten Werken von Jörg Immendorff, Jannis Kounellis, Zoran Mušič, Marc Quinn, Daniel Spoerri und Antoni Tàpies.
Nur ein kurzes Blättern im Kunst-Lesebuch mit literarischen Beiträgen von 17 jungen Autorinnen und Autoren war mehr möglich.
In der Albertina
Freitag, den 7. Oktober 2011 trafen sich 8 Forscherinnen aus Kunst- und Architekturgeschichte, Germanistik, Theater- und Medienwissenschaft in der Albertina zu einem Archivgespräch. Die Kuratoren Regina Doppelbauer und Edelbert Köb boten der Gruppe eine intensive Führung durch die Ausstellung Max Weiler. Der Zeichner, die auf einem Forschungsprojekt der Albertina zum Zeichner Max Weiler basiert. Das an der Albertina erstellte digitalisierte Werkverzeichnis der etwa 3500 Papierarbeiten des Künstlers wird vervollständigt und soll als Online-Werkverzeichnis ab 2013 Publikum und Forschung zur Verfügung stehen.
Max Weiler (1910 – 2001) studierte 1930 – 37 an der Akademie der Bildende Künste Wien bei Karl Sterrer. Sterrer bei einem Besuch in den USA chinesische Landschaftsmalerei gesehen und diese Ansätze seinen Schülern beigebracht. Das hat Weiler sicher früh beeinflusst, allerdings spiegeln seine Arbeiten kein romantisches Verschmelzen mit Natur, sondern er steht ihr immer als Subjekt gegenüber.
Karl Sterrer, der mit Clemens Holzmeister befreundet war, beteiligte auch seine Schüler an Wettbewerben für Kirchenausgestaltung und erschloss ihnen die Beschäftigung mit dem liturgischen Bereich. Max Weiler war stark religiös verwurzelt und gehörte wie der Grazer Rudolf Szyskowitz dem Bund Neuland, der ein franziskanisch einfaches Leben vertrat. „Gott drückt sich in der Natur aus“ war Weilers Credo.
Gegen Ende des 2. Weltkriegs desertierte Max Weiler und suchte einen Neuanfang. Innsbruck lag in der französische Besatzungszone. Das französische Kulturinstitut dort verstand sich als intellektuelle Speerspitze mit Ausstellungen der Ecole de Paris, Lesungen, Musik und von diesem angeregten Klima profitierten die Künstler. 1945 gewann er den Wettbewerb um die Ausführung der Fresken in der Theresienkirche auf der Hungerburg in Innsbruck. Dieses Werk sorgte für heftige Diskussionen, da es Menschen in Tiroler Tracht bei der Kreuzigung Christi zeigte und musste jahrelang verhängt werden. Auch 1955 kam es um die Wandmalereien im Innsbrucker Bahnhof zu öffentlichen Auseinandersetzungen. Weiler ging aber unbeirrbar seinen Weg weiter. Die Kontakte mit Nicolas de Staël und Alfred Manessier, die Weiler 1949 während seines Paris-Stipendiums kennen gelernt hatte, bestärkten ihn. 1960 repräsentierte er Österreich auf der XXX. Biennale von Venedig.
Schon bald wird das Umgehen mit kleinsten Strukturen auch eine Leitidee. Neben seiner starken intellektuellen Kontrolle bekommt der Zufall seine Rolle. Um 1961 findet Weiler – wie Edelbert Köb erklärt – in den Prozessen seiner eigenen Malerei, den Probierblättern, einen ganz persönlichen Weg und daraus entwickelt sich ein befreiter Strom der Zeichnung: Virtuose, sich von der Abstraktion zum expressiven Gestus spannenden Tuschpinselarbeiten der Sechzigerjahre und reife, sich in freien Variationen entfaltenden Bleistift- und Tuscheblätter der Siebzigerjahre, die in monumentale Zeichnungen münden. Die Probierblätter sind nach neuesten Erkenntnissen die zentralen Bezugspunkte nicht nur des malerischen, sondern auch des zeichnerischen Spätwerkes.
1964 schreibt er in seinen “Tag- und Nachtheften”, in denen er von 100060 bis 1991 sein künstlerisches Schaffen denkerisch und selbstreflexiv begleitete, aber auch den Kunstbetrieb kommentierte, ein erstes Mal über seine Zeichnungen. Diese spannenden Dokumente könnten jetzt nicht veröffentlicht werden, weil das in die Persönlichkeitsrechte vieler noch Lebender eingreifen würde. Er jedenfalls hat zugelassen, dass Kunsthistoriker Zitate daraus genommen haben. Wie weit er ihnen diese Zitate gegeben hat oder sie das Ganze lesen konnten, weiß man nicht.
Aus diesen Heften geht hervor, dass er mit Schüchternheit zu kämpfen hatte, aber auch sehr selbstbewusst war und ganz klar gesehen hat, was er wollte – ein zeitgenössischer Künstler sein. Die Abstraktion hielt er für den grundsätzlichen Ausdruck der Zeit.
Gespräch mit Kuratorin Antonia Hoerschelmann
Im Anschluss folgte ein überaus interessantes Gespräch mit der für die Kunst des 20. und 21.Jahrhunderts zuständigen Kuratorin Antonia Hoerschelmann zu den Sammlungsstrategien der Albertina bezüglich der österreichischen sowie internationalen Nachkriegsavantgarden und ihrer Forschungsschwerpunkte und –vernetzungen in diesem Bereich.
Antonia Hoerschelmann kam 1992 mit einer neu geschaffenen Kuratorenstelle ins Haus. Dass noch vor der Ausgliederung der Museen unter Konrad Oberhuber eine Kuratorin für den zeitgenössischen Bereich installiert wurde, war eine große Öffnung. Grund für diese gewünschte stärkere Präsenz war, dass Konrad Oberhuber, obwohl Raffael-Experte, von seinem längeren Lehraufenthalt aus den USA mit einer großen Begeisterung für zeitgenössische Kunst nach Europa zurückgekehrt ist. Dies führte zu verstärkten Erwerbungen aus dem zeitgenössischen Bereich. Oberhuber träumte davon, „den Raffael des 20. Jahrhunderts zu finden“.
Direktor Klaus Albrecht Schröder intensiviert mit Ausstellungen in erweiterten Ausstellungsflächen den Fokus auf das 20. Jhdt. Antonia Hoerschelmann kuratierte im Jahr 2003 die Ausstellung Edvard Munch zur Wiedereröffnung der Albertina. Die Gesamtheit des künstlerischen Schaffens wird nun Thema der Präsentationen, die Gegenüberstellung diverser künstlerischer Techniken erlaubt eine intensive Annäherung an den künstlerischen Schaffensprozess.
Zeitgenössische Kunst zu sammeln und zu präsentieren hat seit der Gründung der Albertina stets stattgefunden. Von Albert von Sachsen-Teschen über seine Nachfolger war die zeitgenössische Kunst stets wichtiger Sammlungsschwerpunkt.
Seit der Ausgliederung der Museen gibt es keine definierte Aufgliederung der Gesamtbudgets, somit keinen klar ablesbaren Ankaufsetat. Abhängig von der Basisdotierung, der notwendigen Abgeltung des Bundes speisen sich die Mittel für Neuerwerbungen zum einen aus hausinternen Ressourcen (Sponsoren, Spenden, Kooperationsverträgen mit Wirtschaftspartnern und Privatpersonen, etc.) und zum anderen aus öffentlichen Finanzierungsmodellen (Galerieförderung, Österreichische Ludwigstiftung, etc.). Die Erweiterung der Sammlung verdankt die Albertina Schenkungen und Vereinbarungen zu (Dauer)leihgaben. Gegenüber Privaten bzw. Firmen, die Sammlungen aufbauen, sind heutzutage generell öffentliche Institutionen auch international finanziell sehr benachteiligt. Daher helfen die mittlerweile unverzichtbaren Trustees oder Bords der einzelnen Museen und Institutionen, die Möglichkeit zu schaffen, Erwerbungswünsche zu realisieren.
Zur Finanzierung von Ausstellungen sind Kooperationen notwendig, die eine Wahrnehmung des Projekts durch eine breitere Öffentlichkeit voraussetzen. Nur selten ist es möglich, auch weniger publikumswirksame, wenn auch bedeutende Projekte zu realisieren, wie z.B. die William Kentridge-Ausstellung, die allein wegen der notwendigen technischen Einbauten einen großen finanziellen Aufwand bedeuteten.
„Wie ist die Situation der Forschung im Haus?“ – „Forschung findet kontinuierlich im Rahmen der Ausstellungsprojekte der Albertina statt. Deren Ergebnisse werden im Katalog zur jeweiligen Ausstellung publiziert. Eine weitere Aufgabe liegt in der Erstellung von Bestandskatalogen. Darüberhinaus wurden bisher über die finanzielle Unterstützung der Nationalbank und den Fond zur Förderung wissenschaftlicher Forschung mehrere Projekte realisiert“.
„Ja, die Lücke Forschung zu bestimmten Gebieten der Avantgarden ist groß und war vor 20 Jahren noch massiver. 1989 kuratierte ich mit Direktor Konrad Oberhuber die Ausstellung „sechzig – Zeichnungen einer Generation“, um das Phänomen der österreichischen Künstler der Jahrgänge 1928 – 1930 zu reflektieren –Gezeigt wurden Werke von Arnulf Rainer, Gerhard Rühm, Johann Fruhmann, Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Karl Anton Fleck, Friedensreich Hundertwasser, Alfred Hrdlicka, Anton Lehmden, Georg Eisler, Wolfgang Hutter, Rudolf Schönwald, Ernst Fuchs, Georg Chaimovicz, Arik Brauer, Mario Decleva. Mittlerweile haben doch einige wesentliche Aufarbeitungen stattgefunden , wie auch sukzessive die jüngeren Generationen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mit der natürlichen historischen Distanz neue Blicke auf diese letztlich aber weiterhin noch viel zu wenig erforschte Avantgarde der Nachkriegszeit richten.
Antonia Hoerschelmann hat unter dem Titel „Tendenzen der österreichischen Malerei zwischen 1918–1938 und ihre Relationen zur europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts“ zur Zwischenkriegszeit dissertiert. Die Gesprächsrunde ist sich einig darüber, dass ein seriöses Studium der Kunstgeschichte viel Zeit braucht, um auch Dank einer eingehenden Grundlagenforschung zu neuen Informationsquellen zu gelangen. Da liegt das Thema der heute immer wieder diskutierten „Textflut“ nahe, der in Zukunft durch gelegentlichen Verzicht auf Kataloge begegnet werden soll, zumal die Zeitschriftenförderung eingestellt wurde.
Vom Lesen zum Sehen: „Hat sich etwas verändert am Wahrnehmen, an den Sehgewohnheiten? Hat sich dieses Bedürfnis der Gesellschaft verändert? Was spiegelt das wieder?“ – „Bei unseren großen Ausstellungen sehen wir, dass die Unterstützung durch Backgroundmaterial gut angenommen, ja mittlerweile sogar vorausgesetzt wird. Ich sehe manchmal die Gefahr, dass die Besucher mehr Zeit damit verbringen die Texte zu lesen, als die Kunstwerke anzusehen.“ Die Probleme von Audioguides werden diskutiert, die Frage erhoben, ob die Tablet-Technik weiterverfolgt wird. „Ja, in der Albertina wird nun mit Tablets gearbeitet, wobei in der Verwendung ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet wird, die gezeigten Originale mit Vergleichsbeispielen, Dokumentationsmaterial, etc. zu hinterleuchten.“
Zweite Exkursion auf den Friedrichshof
Am 23. September 2011 gab es einen weiteren Archivausflug auf den Friedrichshof. 8 Mitglieder des Netzwerks ViennAvant aus den Bereichen Kunstgeschichte, Architekturtheorie, Germanistik und Medienwissenschaft nahmen an der Exkursion teil.
Die Einführung von Hubert Klocker zur Geschichte der Sammlung Friedrichshof gab interessante auch kulturpolitische Einblicke.
In der von ihm kuratierten Ausstellung Ion Grigorescu brachte Klocker auch die Persönlichkeit dieses wichtigen rumänischen Avantgardisten der ForscherInnengruppe nahe.
Anschließend widmeten sich die BesucherInnen der intensiven Betrachtung der Sammlung und Gesprächen in kleinen Gruppen.
Zuletzt führte Amalia Rausch wieder durch die Anlage des Friedrichshofs und fasste die Geschichte der Kommune zusammen.
Im Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien
Freitag, 1. Juli 2011, 16:00
Trotz Semesterende schafften es 9 ForscherInnen aus Theater-, Musik- und Kunstwissenschaft, Germanistik und Architekturgeschichte, am Archivgespräch im Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft teilzunehmen.
Frau Prof. Brigitte Marschall war durch eine Dissertationspräsentation verhindert. Ihre Dissertantin Camilla Henrich machte die Anwesenden jedoch eingehend und lebendig mit den vielen Facetten ihres Forschungsprojekts zur Aufarbeitung des Dramatischen Zentrums vertraut.
Das Ergebnis war sehr spannend:
Der Gründungsmythos des “Dramatischen Zentrums” wie auch die verschiedenen Motive, die zu seiner Entstehung – wie auch dann zur Schließung im Jahr 1989 – führten, wurden eingehend behandelt. Überraschend war es für die Expertinnen zu hören, dass dieses so alternative Projekt „Dramatisches Zentrum“ im Rahmen des Burgtheaters gegründet wurde und auch in den Anfängen seine Vereinsadresse im Burgtheater hatte.
Viele Exemplare der themenbezogenen Hefte „texte zur theaterarbeit“ wurden herumgereicht. Auch in interessante Dokumente wie z.B. ein Antrag von Peter Weibel auf ein Stipendium für wahlweise drei Theaterstücke konnte Einsicht genommen werden.
Die vielen Querverbindungen, die zur Sprache kamen machten das Gespräch besonders lebendig.
Zwei der Teilnehmerinnen widmen sich ähnlichen Forschungsprojekten zur freien Theaterszene: Angela Heide, die zur Geschichte der „Insel“ promoviert hat, erstellt in ihrem Projekt KINTHETOP ein Kompendium der Entwicklung der freien Theaterszene und ist bis in die Gegenwart mit den Entwicklungen bestens vertraut, Petra Rathmanner arbeitet an einem Forschungsprojekt zur Geschichte von Hans Gratzer und dem Ensembletheater.
Irene Suchy erinnerte an die Inszenierung des „Urfaust“ durch Penelope Georgiou, in der Otto M. Zykan den Faust und Georgiou das Gretchen gespielt haben.
Medientechnisch wie diskursmäßig interessant war die Vorführung eines Mutterbands einer Club2-Diskussion zum Thema Dramatisches Zentrum und Kulturförderung mit dem seinerzeitigen Minister für Unterricht und Kunst Herbert Moritz
Der Abend endete unter der Michaelerkuppel in einem spontanen Reflexionsgespräch, in dem vor allem das Fehlen von Förderung für das Erarbeiten von Zusammenschau bedauert wurde, die so vieles an Einzelforschung erst produktiv machen könnte.
In der Sammlung Friedrichshof
Mittwoch, den 1. Juni 2011 unternahm eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern aus Kunstwissenschaft, Architekturgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft einen ViennAvant-Archivausflug zum Friedrichshof.
Das Gelände und seine Geschichte
Amalia Rausch, die Leiterin der Sammlung Friedrichshof, führte zunächst durch die umfangreiche Anlage, die jetzt neben den Ausstellungsräumen der Sammlung Wohnungen, Künstlerateliers, ein Sozialprojekt, ein Seminarhotel mit Restaurant sowie Spielplätze umfasst und erzählte aus der bewegten Geschichte.
Schon im Mittelalter ist ein “Heidehof” erwähnt. Um 1890 kam das Anwesen in den Besitz von Erzherzog Friedrich und wurde zum landwirtschaftlichen Mustergut Friedrichshof ausgebaut. Aus dieser Zeit stammt noch die „Alte Schule“. In den Dreißigerjahren wurde der Gutsbetrieb aufgegeben. 1972 erwarb die Kommune um Otto Muehl das Areal und begründete ein alternatives Gesellschafts- und Lebensmodell. Alte Gebäude wurden renoviert und großflächig neue mit entsprechender Infrastruktur geschaffen. Die Landschaft wurde aufgeforstet und gartenarchitektonisch umgestaltet. 1990 löste sich die Kommune auf, und der Friedrichshof wurde in eine Genossenschaft mit etwa 200 Anteilseignern eingebracht. Heute leben rund 150 Menschen am Friedrichshof, davon etwa 20 ehemalige Kommunemitglieder.
Atelierbesuch
Die Gruppe besuchte den Künstler Josef Danner in seinem Atelier
Ausstellung Jon Grigorescu
Es folgte die Führung durch die 2010 von Adolf Krischanitz neu ausgebauten Ausstellungsräume der Sammlung.
Die temporäre Ausstellung ist dem 1945 in Bukarest geborenen Ion Grigorescu gewidmet, einem der bedeutendsten rumänischen Konzept- und Performancekünstler.
Während des Ceausescu-Systems lebte er im Untergrund und arbeite bereits in den 70er-Jahren mit filmisch und fotografisch dokumentierten Körperaktionen.
Die Grenzen des gegenüber dem Westen damals völlig abgeschlossenen Landes wurden nach dem großen Erdbeben 1977 kurz für Hilfe aufgemacht. Damals fuhren Künstler nach Paris, einige blieben auch dort. Grigorescu kehrte wieder zu seiner Familie zurück. Aber dieses kurze Fenster der Freiheit war für ihn ein prägendes Erlebnis. Den documenta 2-Katalog von Harald Szeemann nahm er mit nach Bukarest und hat ihn jahrelang unter seinem Kopfpolster gehabt. Er sei für ihn wie eine Bibel gewesen, erzählte er bei der Vernissage.
Ion Grigorescu vertritt Rumänien bei der Biennale Venedig 2011. Bis heute reflektiert er die auch nach der rumänischen Revolution vorherrschende Unterdrückungsdynamik.
Die Sammlung
In der beeindruckenden permanenten Ausstellung präsentiert die Sammlung Friedrichshof die grundlegende Phase des Wiener Aktionismus zwischen 1960 und 1973 mit zentralen Werken. Der Wiener Aktionismus von Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler war Österreichs bedeutendster Beitrag zu den internationalen Avantgarden der 1960er Jahre. Als Reaktion auf den Abstrakten Expressionismus wurde von den Aktionisten die Malerei zum ereignishaften Kunstwerk erweitert und die gesellschaftliche Rolle und Funktion von Kunst einer radikalen Analyse unterzogen.
Hubert Klocker, der künstlerische Leiter der Sammlung, der beide Ausstellungen gestaltet hat, hat die Präsentation jedes dieser Künstler mit einem ihrer Frühwerke ergänzt, – eine interssante Intervention.
Spannend waren die Ausführungen von Amalia Rausch über die Zeit der Kommune:
Ende der 70er-Jahre war der Aktionismus für Brus und auch für Muehl ausgereizt. Die Aktionen waren für Otto Muehl ursprünglich eine Aufarbeitung der Kriegstraumata gewesen. Er wollte eine andere, eine bessere Gesellschaft. Die Kommune sah er als Fortsetzung des Aktionismus. Die Theorie hinter dem Kommunenmodell sei die Reich’sche Körpertherapie gewesen.
Der Gap zwischen dem so ungeheuer dynamischen und stets vor Ideen sprühenden Otto Muehl und den jungen Kommunemitgliedern sei sehr groß gewesen. Um sie aus ihrer Passivität herauszuholen, habe er, der selbst damals bei Dvorak Therapie machte, das Modell der permanenten therapeutischen Arbeit entwickelt – was die Jungen infantil gemacht habe.
„Das Leben war nicht geruhsam, schildert Amalia Rausch. „Wir haben gearbeitet, haben Kunst gemacht, gemalt, Filme produziert. Jeden Abend gab es Aktzeichnen. Und da waren die Kinder, die Pädagogik, die Schule, die Gesundheitsstation. Niemand ist allein gelassen worden. Aber alle haben alle beobachtet, waren ständig in Konkurrenz. Das war ein unglaublicher Stress. Aus der Konkurrenzsituation heraus wollte jeder was Gutes bringen. Denn die Beliebteren wurden mehr umworben. Alles, auch die Fehler wurden besprochen. Sanktion war der Hierarchieplatz…“
Auch Otto Muehl hat sich bemüht, die Erwartungen der Gruppe zu erfüllen. Aber er hat von Anfang an als Underground-Guru die Rolle des Patriarchen gehabt und ist von uns abgrundtief bewundert worden. Das ist ihm zu Kopf gestiegen. Wir waren zu begeistert, es haben sich Hierarchien entwickelt, vor allem eine bestimmende Bewusstseinshierarchie.
“War das Agieren am Finanzmarkt nicht ein Widerspruch zu den ökonomisch-alternative Ansätzen?” Amalia Rausch: “Wir sagten uns: die Gesellschaft ist kapitalistisch. Wir gehen da spielerisch rein – und das ging, weil wir ja nicht davon leben mussten – und investieren das Geld in ein anderes besseres Lebensmodell. Wir waren immer offen, alles kennen zu lernen.”
„Das Ende war ein Schock“, schildert Amalia Rausch. „Wir waren es ja nicht gewohnt, für uns selbst zu sorgen. In der Kommune war für alles gesorgt.“ Von einem Tag auf den anderen stand sie da als Alleinerzieherin mit zwei Kindern. Aber sie bedauere nichts. Es sei eine so volle Zeit gewesen. In den 80er-Jahren habe sie in den Stadtkommunen in Genf, dann in Düsseldorf gelebt, später auf Gomera.
Am Ende habe es auch ein Vaterschaftsprojekt gegeben. Alle haben sich im AKH untersuchen lassen, damit klar wird, wer der biologische Vater ist.
Die Kinder sind vermehrt in die Kunst gegangen. Die Kunstprägung ist ziemlich stark gewesen. 2010 gab es 20-Jahre-Fest, zu dem 400 Leute kamen, sehr emotional in der Freude, einander wieder zu sehen und auch voll Bewegung, als um Verzeihung gebeten wurde für das, was alles geschehen war.
Das Kommunenarchiv mit tausenden Filmen ist noch geschlossen. Die Generalversammlung der Genossenschaft hat die Öffnung für wissenschaftliches Arbeiten noch nicht genehmigt. Es gibt einen internen Katalog, und Amalie Rausch ist mit der technischen Sicherung der Archivbestände befasst.
Architekturführung
Anschließend führte noch Bernhard Steger von der ViennAvant-Gruppe zu den am Rande der Anlage erbauten interessanten Privathäusern, was Anlass zu Gesprächen über Baukultur, Regionalgeschichte und Ökologie bot.
Reflexionsgespräch
Den Abschluss bildete ein Reflexionsgespräch im Gastgarten.
Im MUMOK
Freitag, den 8.4. 2011 fand im MUMOK das 3. ViennAvant-Archivgespräch statt. Eva Badura-Triska begrüßte die interdisziplinäre Gruppe aus ViennAvant – 14 Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen der Kunstwissenschaft, Architekturgeschichte, Germanistik, Theaterwissenschaft und Psychoanalyse – und begann mit einer Expertenführung durch die von ihr kuratierte Ausstellung Direct Art, die den Wiener Aktionismus im Kontext zeitgleich geschaffener internationaler Werke zeigt.
Der Aktionismus – so Eva Badura-Triska – entstand im wertkonservativen Wien wegen der spezifischen soziokulturellen Situation, der unaufgearbeiteten Nazizeit und war deshalb um einen Schuss radikaler im internationalen Vergleich, immer aber auf der Höhe der Zeit.
Die Stärke der Sammlung liegt in den 60er-Jahren. Es gab in der Ära der Direktion Köb einen Schub an Neuankäufen – was wichtig war, weil inzwischen durch den internationalen Boom die Preise gestiegen sind. Das MUMOK verfügt nun über ein tolles Forschungsarchiv mit einer Fülle von Fotos, Dokumenten und Filmen.
Die Ausstellung „Direct Art“ ist in fünf thematische Stationen strukturiert: Die Erweiterung der Malerei, Materialbilder und inszenierte Fotografie, Bezüge zur Musik, gesellschaftspolitisches Engagement und schließlich Körperkunst.
Im ersten Themenblock sind Werke, in denen Nitsch Muehl, Brus und Schwarzkogler ihren Ausstieg aus dem Tafelbild vollziehen, Beispielen der Erweiterung der Bildfläche bei Allan Kaprow, Robert Rauschenberg, Niki des Saint Phalle, Lucio Fontana gegenübergestellt sowie Shozo Shimamoto, der bereits 1951 Leinwand öffnet. Es geht um die Konstituierung eines Energiefelds. Yves Klein steht im Kontext von Vertretern der japanischen Gutai-Bewegung, die er vielleicht gekannt hat. Sie haben schon 1955 mit dem eigenen Körper agiert – wie etwas später Carolee Schneemann.
Im Bereich inszenierte Fotografie ergab sich eine lebhafte Diskussion rund um die Frage des Werkbegriffs und der Auswahl der Fotos. Die Fotografen, die meist Freunde waren, haben keine Anweisungen bekommen, erzählte Eva Badura-Triska. Die Idee war, kein eigenes künstlerisches Anliegen hineinzubringen. (im Unterschied zu den Filmern, z.B. Kurt Kren). Kontaktabzüge wurden gemacht. Die haben die Künstler genommen und dann oft Ausschnitte gewählt. Schwarzkogler machte Collagen mit Ausschnitten. Es gibt Skizzenbücher. Alles ausarbeiten ließ erst 1970 der Förderer der Aktionisten Francesco Conz. Was die Künstler wollten, hat sich dauernd geändert. Das mediale Bewusstsein war noch nicht so ausgebildet. Fazit: Die authentische Präsentation gibt es nicht.
Weiters wird die Selbstinszenierung der Künstler diskutiert, z.B. dass sie häufig bei Aktionen einen Anzug trugen. Man trug damals viel mehr Anzug. Er gehörte z.B. bei Schwarzkogler zur „Ikonografie“, war aber auch, wie August Ruhs vermutet, Immunisierungsstrategie.
Verschnürungen und Gerümpel mit aggressiven Gegenständen entsprachen dem plastischen Denken von Otto Mühl. Für ihn sind seine Materialaktionen stark mit Kriegserinnerungen verbunden. Auch Burri, Tinguely und viele andere haben in dieser Zeit Gerümpel verwendet, oder Verschnürungen, wie z.B. Christo. Interessant sind die unterschiedlichen Wege: Adolf Frohner geht bis hierher mit, indem er das Bild öffnet, Gerümpel einbringt, an der Blutorgel teilnimmt. Dann zieht er sich zurück und arbeitet gegenständlich. Alfons Schilling tut den Schritt von der informellen Malerei zur Bewegung mit seinen Sehmaschinen, aber geht nicht mehr in die Aktion.
Unbeachtet geblieben ist bis jetzt die wesentliche Rolle der Musik für den Aktionismus. Das Ensemble „die reihe“ wurde damals gegründet, John Cage war in Wien. Die Aktionisten haben sich von diesen Neuerungen anregen lassen, schrieben Partituren, haben mit Geräuschmusik experimentiert. Nitsch hatte, wie auch die Wiener Gruppe einen Plattenspieler, und Musik ist in seinem Orgienmysterientheater wesentlich. Rudolf Schwarzkogler organisierte 1964 das Luftballonkonzert von Otto Mühl, für das es auch eine Partitur gab. Brus hat, obwohl er nicht Noten lesen kann, Musiknotationen gemacht, um in den Raum zu gehen. Er verstand Musik als räumliches Erlebnis. Es gibt auch Partituren von Brus für nicht realisierte Aktionen.
Diskutiert wurde über die spannende Figur Anestis Logothetis, der ab 1967 graphische Notationen gemacht hat. Es gibt von ihm Partituren, die denen von Brus ähneln. Logothetis war eng mit Wiener Aktionisten verbunden, hat in der Blutorgel Geräusch aufgenommen, war auch Akteur bei Mühl und hat sich mit psychomotorischen Geräuschaktionen beschäftigt. Die Frage ist, wo der Nachlass eines solchen Grenzgängers seinen Platz finden kann.
Das gesellschaftliche Anliegen des Wiener Aktionismus war es, die Wirklichkeit in all ihren Aspekten in die Kunst zu bringen. Doch der Aktionismus ist keine politische Kunst, betont Eva Badura-Triska. Die Vietnamparty 1966 von Otto Mühl war eine zynische anarchistische Angelegenheit mit dem Ziel, sich „abzusetzen von den vielen nutzlosen Demonstrationen“ und zu zeigen, dass der Mensch eine Bestie ist. Auch in „Kunst und Revulution“ wurden die linken Studenten, die wirklich ein gesellschaftspolitisches Anliegen hatten, mit einer radikalen Kunstaktion „gelegt“. Hermann Nitsch dagegen machte Aktionstheater mit Vostell, dessen Vietnamparty 1967 ein Aktionsausflug war.
Love, Sex, War waren die großen Themen der 68er. In der Ausstellung gibt es einige Verweise zu Pop Art, der es um die Kritik an der Konsumgesellschaft ging. In diesem Themenblock haben auch Werke wie die Beuys-Schachtel, seine „Direkte Demokratie“-Blätter und die Mühl-Skulptur aus Omo-Schachteln Raum.
Im Bereich Körperkunst ist der Umstand ein Diskussionspunkt, dass Günter Brus seine radikalste Aktion nicht mehr veröffentlichen will.
Anschließend besuchte die Gruppe noch mit Aktionsraum 1 eine klassische Archivausstellung. Eva Badura-Triska gab eine Einführung zu dem 1969 in München von Eva Madelung, Alfred Gulden und Peter Nemetschek als Ort für einen erweiterten Kunstbegriff betriebenen Aktionsraum 1. In diesem einen Jahr fanden 50 Aktionen statt, u.a. die „Zerreißprobe“ von Günter Brus, den „Baum“ von Giuseppe Penone, der „Brotraum“ von K.F. Günther und das 7. Abreaktionsspiel von Hermann Nitsch. Nach Abriss des Gebäudes stellten sich Gulden und seine Freunde – wie damals auch Otto Mühl – die Frage: Ist es in dieser politischen Situation noch sinnvoll, Kunst zu machen? Sie arbeiteten die Interventionen dieses Jahres auf, brachten eine Dokumentation heraus und der Sammler Egidio Marzona erwarb die Relikte und Artefakte.
Das Gespräch wurde noch nach Museumsschluss fortgesetzt. Dabei ging es wesentlich um methodische wie strategische Fragen eines Archivs, das eng mit einer Sammlung verknüpft ist. Es sei jetzt schon sehr viel digitalisiert, sagte Eva Badura-Triska, vieles sei aber noch in dicken Ordnern. Geplant ist jedoch, alles online zustellen, auch eine lückenlose Evidenz der Aktionsfotos.
Die Frage der Künstlernachlässe wurde mehrmals angesprochen. Ebenso Filme und Filmrechte. Ein Archivmuseum fehle. Eva Badura-Triska könnte sich einen Dachverband der Archive vorstellen. Eine Evidenz der Archive aufzustellen, sei von Beginn an ein Desiderat von ViennAvant gewesen, sagt Helga Köcher
Archivgespräche 2010
Im Österreichischen Literaturarchiv
Das zweite ViennAvant-Archivgespräch am 30. April 2010 war der Literatur gewidmet. Direktor Bernhard Fetz begrüßte im Österreichischen Literaturarchiv in der Hofburg eine multidisziplinäre Gruppe aus ViennAvant – neun Forscherinnen und Forscher aus Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Architekturgeschichte, Musikwissenschaft und Medienwissenschaft. Nach programmatischen Worten zu der Arbeit des Archivs und aktuellen Schwerpunkten gab er einen Überblick über das Programm des Nachmittags.
Vier Projekte dokumentarischer Natur wurden von Mitarbeitern des Literaturarchivs präsentiert:
Teresa Profanter: Verzeichnis der künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen Nachlässe in Österreich.
Das Riesenprojekt Verzeichnis der künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen Nachlässe in Österreich wurde von der Österreichischen Nationalbibliothek in Verbindung mit der Wienbibliothek im Rathaus in Kooperation mit über 200 Museen und Archiven – dem Österreichischen Theatermuseum Wien, dem Adalbert-Stifter-Institut Linz, der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv Innsbruck, dem Robert-Musil-Institut Klagenfurt, dem Thomas-Bernhard-Archiv Gmunden unter Mitarbeit des Archivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universitätsbibliothek Wien u.v.m. im Auftrag des BMUKK in dreijähriger Arbeit erstellt. Es umfasst mehr als 6000 Einträge von Vor- und Nachlässen. Dieses elektronische Verzeichnis umfasst nicht nur Bestände aus Literatur, es beinhaltet auch Bildende Kunst, Musik, Naturwissenschaft, Politik und bietet eine Perspektive für eine Nachlassdatenbank aller deutschsprachigen Länder. Private Sammlungen sind noch nicht eingearbeitet, es sind nur Institutionen erfasst.
Es kann nach Schlagworten und Zeiträumen gesucht werden, nach Provenienz, nach Orten, die Zuordnung eines Bestands zu Sachgebieten ist möglich. Unter „Katalog Standard“ öffnet sich ein Fenster zur Website des jeweiligen Instituts und bietet Basisinfos zu Personen, Kurzbiografien der Bestandsbringer u.a.
Die Datenbank wird laufend gepflegt. Die eingebundenen Institutionen haben die Verpflichtung zu vierteljährlicher Aktualisierung.
Volker Kaukoreit, Österreichische Literaturzeitschriften von 1945 – 1990.
Dieses im deutschsprachigen Raum einzigartige Online-Verzeichnis Österreichische Literaturzeitschriften 1945–1990. Materialien, Analysen, Hintergründe umfasst 330 Zeitschriften, davon 22 zu Avantgarden, z.B. Alpha, Der Bogen, Eröffnungen, Freibord, Gegenwart, Herbstschrift.
Die benutzerfreundliche Website bietet Rechercheeinstiege über eine Schnellsuche an und Register nach alphabetischer, chronologischer und regionaler Struktur. Zu jeder Zeitschrift finden sich umfangreiche Informationen zu den beteiligten Personen, Erscheinungsort, Preis, Inhaltsverzeichnis, Kernzitate, programmatische Äußerungen und Gestaltungsbeispiele, in einigen Fällen auch ein ausführlicher Essay. Eine substantielle Einleitung führt chronologisch durch die Zeit.
Hannes Schweiger: Die Ernst Jandl-Show, Wien Museum, 4.11.2010 – 13.2.2011
Hannes Schweiger präsentierte einen Ausblick auf die Ernst Jandl Show, die im Herbst im Wien Museum zum 85. Geburtstag und 10. Todestag Jandls eröffnet wird.
Das Österreichische Literaturarchiv birgt einen riesigen Ernst Jandl-Nachlass , der Basis dieses Projekts des LBI Biografieforschung in Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek und dem Wien Museum ist und von einem Katalog und einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm begleitet wird.
Ernst Jandl wird darin in seiner Vielfalt präsent werden: Als Lautpoet, als genialer Auftrittskünstler, als grenzüberschreitender Avantgardist zwischen Poesie, Performance, Musik und bildender Kunst. Er schrieb Gedichte in Alltagssprache, experimentelle Prosa, Hörspiele, Theaterstücke, Film-Drehbücher und sogar ein Ballett. Er übersetzte Texte von Avantgarde-Künstlern wie Gertrude Stein und John Cage. Legendär ist sein Auftritt bei dem Beatnik-Treffen in der Royal Albert Hall. Im Juni 1965 kamen dort die literarischen Köpfe der Beat-Generation, unter ihnen Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und Adrian Mitchell, zusammen. Begeistert nahm das Publikum Ernst Jandl auf, der “Hustenscherzo” von Kurt Schwitters vortrug und sein eigenes Gedicht “schtzngrmmm”. Peter Whitehead dokumentierte die Veranstaltung in seinem Film Wholly Communion im Stil des “Direct Cinema”. Jandl knüpfte bei diesem Aufenthalt Kontakte mit Ian Hamilton Finlay und anderen, die ihm später sehr genützt haben, wie er in einem Brief an Raoul Hausmann v. 5.7.1965 schreibt. Netzwerke zwischen deutschsprachigen und englischen Avantgarden entstanden daraus. Aber auch als Vermittler der tschechischen Avantgarden engagierte sich Jandl.
Die Ernst Jandl Show wird Jandls Werk in seiner Vielstimmigkeit, Internationalität und Intermedialität inszenieren mit Ton- und Filmaufnahmen, Fotos und Lebensdokumenten sowie vielen unveröffentlichten Texten und ihn damit als Künstler an den Schnittstellen von Text, Ton und Bild sichtbar machen, dessen innovative Kraft bis in die Alltagskultur hinein fortwirkt.
Klaus Kastberger: Avantgarde und Oswald Wiener
Abschließend gab Klaus Kastberger eine spannende Zusammenschau der Bestände, die das Österreichische Literaturarchiv von Proponenten der Wiener Nachkriegsavantgarden und vor allem der Wiener Gruppe hat, und entfaltete ein Szenario der verschiedenen Ansätze ihrer „Rahmung“ und ihrer Rezeption. So enthält seine Publikation Schluss mit dem Abendland. Der lange Atem der österreichischen Avantgarde, die er zusammen mit Thomas Eder als Band 5 der „Profile“, dem Magazin des österreichischen Literaturarchivs, herausgegeben hat, eine Umfrage unter Avantgardeliebhabern und Avantgardeverächtern. Der Schriftsteller Thomas Glavinic hält darin beispielsweise polemisch fest: „ Die Avantgarde hat uns den Ruf im Ausland versaut“ und auch „die nachfolgenden Generationen verhunzt“. Fazit: Polemik war immer schon eine beliebte Reaktion auf Avantgarden. Aber es gibt den Mut zu Neuem – und es gibt die Forschung.
Das Archiv
Kastberger beschäftigt sich seit langem mit dem Profil der Wiener Gruppe und forscht an ihren Archivbeständen, die nicht nur erratisches Material sind, sondern Knoten im Netzwerk vielfältiger Aufbrüche. Hier arbeitet er an einem differenzierten Bild dieser für die Kulturlandschaft Österreichs entscheidenden Phase .
Das Österreichische Literaturarchiv besitzt den gesamten Vorlassbestand von Oswald Wiener mit einer umfangreichen Korrespondenz. Wiener hat einen Teil seines Werks vernichtet. Gesichert werden konnte ein sehr zerrissenes Manuskript der „verbesserung von mitteleuropa“. Auch Material zur Rezeption der Uni-Aktion und der „verbesserung von mitteleuropa“ ist vorhanden, ebenso wie Notizbücher von ihm aus den 70er-Jahren, „Notebooks“ a la Wittgenstein, als er Wirt in Berlin war. Eine Seance bei Hundertwasser ist dokumentiert und Notizen zu Wieners Idee einer Druckmaschine, um Gedanken zu drucken.
Das Archiv beherbergt zudem audiovisuelles und Tonmaterial, so etwa einen Film von O. Wiener Film, der Konrad Bayer im Dannebergpark zeigt, oder Filme aus der Zeit, als Wiener ein Reisebüro betrieb. Alles Geld wurde in acht Jeeps investiert für Reisen nach Island. Es ging um Naturabenteuer im Freien. Mitgefahren sind immer nur Freunde.
Ein anderer Bereich sind Zeichnungen; Günter Brus und Oswald Wiener haben immer wieder gemeinsam gezeichnet. Aus der Präsentation dieser Beispielblätter entwickelte sich ein intensives Gespräch über methodische und forschungsstrategische Fragen.
Aus der Diskussion: Welche Forschung?
Ein wesentlicher Punkt waren Überlegungen, welche Forschung wie mit diesem Material arbeite. Archivmaterial diene oft als Illustration. Das habe aber mit Forschung nichts zu tun. Die Wiener Gruppe dürfe nicht bloß als Konglomerat von „guten Gschichtn“ gesehen werden. Mit ihr und dem hohen theoretischen Anspruch ihrer Texte wurde in Österreich der Begriff Avantgarde neu definiert.
Aber sie war jedenfalls keine homogene Gruppe. Der Gegensatz etwa zwischen Wiener und Rühm hätte größer nicht sein können. Auch das Verhältnis zwischen Achleitner und Jandl war ein gespanntes. Es gab kritische Äußerungen Jandls über Achleitner, der eher einen Randstatus in der Wiener Gruppe hatte und von Wiener nicht ernst genommen wurde.
Noch weiter am Rand stand Marc Adrian und konnte sich trotz seiner innovativen Kraft nie in die Wiener Gruppe integrieren. Warum ist er untergegangen – im Gegensatz zu Rühm? Die Möglichkeit, solchen Fragen nachzugehen, würde ein differenzierteres Bild der damaligen Gesamtsituation bringen. Und es werde noch einmal komplizierter, wenn man zum Aktionismus gehe.
In der Debatte zu Verhältnis und Wechselwirkung zwischen Wiener Gruppe und Wiener Aktionismus merkte Johanna Schwanberg an, es gäbe Interpretationsmonopole, die weniger bekannte Positionen überlagerten. Klaus Kastberger betonte die Frage der Definitionsmacht. Das Archiv könne nicht die Wertigkeiten definieren. Die kulturelle Legitimation sei wichtig. Verwertungskämpfe würden sich abspielen – um das Material selbst, aber auch um den Alleinvertretungsanspruch. Den gäbe es in allen Avantgardebewegungen, weil keiner nur für sich sprechen will, sondern den Anspruch hat, die Bewegung zu vertreten. Erst wenn die Protagonisten 90 würden, würden Neubewertungen möglich und Mythen aufgelöst.
Johanna Schwanberg sprach die Rolle der Fotografen in der Aktionskunst an. Thomas Eder stimmte zu: Die Perspektiven der Akteure und derer, die die Dokumentationen gestalten, seien unterschiedlich. Und die Haltung dessen, der das Material erstellt, beeinflusse das Ergebnis. Klaus Kastberger erzählte von einem Film aus dem Oswald Wiener-Vorlass über eine Brus-Aktion. Wiener habe nicht die Aktion selbst aufgenommen, sondern das Umfeld: die Zuschauer, auch deren Langeweile, und das verärgerte und widerstrebende Modell, das Brus zu besänftigen versuchte.
Die VertreterInnen des Netzwerks ViennAvant waren sich mit Bernhard Fetz und Klaus Kastberger einig: Forschungsansätze brauchen einen Rahmen. Bei den Avantgarden liege Potential für Innovationsforschung. Weiterführende Forschung müsse ermöglicht werden. Es brauche viel Zeit und Detailwissen, um die Strategien der Protagonisten wie die Auswirkungen von Kontext und Umfeld transparent zu machen.
Im Architekturzentrum
Di., 23. März 2010 fand im Architekturzentrum Wien anläßlich der Ausstellung x projekte der arbeitsgruppe 4. Holzbauer, Kurrent, Spalt 1950–1970 das erste Archivgespräch von viennAvant statt.
Zunächst führten die Kuratorinnen Sonja Pisarik und Ute Waditschatka die 19 Forscherinnen und Forscher durch die Ausstellung.
Daran schloß sich eine Archivführung und Besichtigung exemplarischer Beispiele aus der Sammlung.
Der Nachmittag mündete in einem informellen Gespräch “Architektur in Österreich nach 1945: Akteure, Themen, Kontexte”, das durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der Runde sehr spannend war. Eines der besprochenen Themen war „Worauf bezieht man sich im Wiederaufbau?“
In der Diskussion geäußerte Meinungen:
Die Kirche trat als Auftraggeberin auf – z.B. für Robert Kramreiter, einen Schüler von Dominikus Böhm, der Kirchen noch als Gesamtkunstwerk sah.
Eine große Rolle spielte die Kulturpolitik der Besatzungsmächte: Die Le Corbusier-Ausstellung von Franzosen in Innsbruck, in Wien in den späten 40er-Jahren die Ausstellung „Amerikanisches Wohnen“, der erste Wachsmann-Vortrag 1953 im Amerikahaus, 1955 die Ausstellung Mies van der Rohe in der Secession. Kurrent und Holzbauer betonen, wie wichtig die Bibliotheken der Besatzungsmächte waren.
Die Leute waren auch viel unterwegs. Das Bundesministerium für Unterricht bezahlte Romstipendien und Reisen in die Schweiz zur Mondrian-Ausstellung. Friedrich Achleitner und andere reisten nach Skandinavien. Allgemein waren die 50er-Jahre geprägt von einer Schweden-Begeisterung. Anton Schweighofer, – er verbrachte 1956–59 in Schweden und bezeichnete Schweden als „die USA Europas“ – , nahm mit seinen reduzierten Bauformen, etwa in der „Stadt des Kindes“, Einflüsse aus Skandinavien auf. Kurt Schlauss, Erbauer des Pfeilheims, des Gartenbaukinos und der Wiga – WIG 1964 Donaupark, war Mitglied der Aalto-Gesellschaft. Erich Boltenstern (Wiederaufbau Wiener Staatsoper, Erbauer von Ringturm und Kahlenbergrestaurant), hat in den 30er-Jahren im Büro Sven Markelius, des bedeutendsten Vertreters der schwedischen Moderne gearbeitet und auch Oswald Haerdtl hat sich dessen Bauten angesehen. Diese skandinavische Schiene sollte modernes Leben vermitteln. Die nächste Generation, die Arbeitsgruppe 4, hat sich davon distanziert.
Schnittstellen zwischen verschiedenen Disziplinen wurden besprochen und interdisziplinäre Verbindungen zwischen Architektur und Literatur: Architekten haben sich Vorträge zur Sprachwissenschaften angehört. Kubelka hat bei Kurrent gewohnt. Umgekehrt gab es Vorträge von Architekten in der von Fritz Wotruba geleiteten Galerie Würthle. Johannes Spalt hat sich immer wieder mit Thomas Bernhard getroffen. Der Begriff „seriell“ wird von der zeitgenössischen Musik übernommen, „Serielles Bauen“ wird 1958 zum ersten Mal in einem Briefverkehr erwähnt. Auch der Begriff der „Konstellation“ steht in Verbindung zur experimentellen Dichtung.
Weitere Themen waren die Wiederentdeckung Josef Franks, der nach Schweden emigriert war, nach 1945 jedoch nicht mehr nach Österreich zurückkam und die Figur Josef Hoffmann. Dieser war präsent im Strohkoffer. Er wurde als lebende Geschichte empfunden. Sein Mitmachen in der Nazizeit wurde ihm vorgehalten. Hoffmann hat mit den Studenten nie gesprochen. Er hat nur mit Haerdtl gesprochen. Achleitner hat erzählt, dass Hoffmann mit Zylinder und Frack gekommen ist, ganz unnahbar. Der aus dem Geist des Ständestaats kommende Clemens Holzmeister dagegen – in den 50er-Jahren als Rektor der Akademie für Bildende Künste eine dominierende Figur – war klerikal-faschistoid und politisch unglaublich vernetzt. Seltsam, dass die Jungen den Holzmeister akzeptiert haben und den Hoffmann nicht. Max Weiler allerdings empfand ihn erdrückend.
Ausführlich wurde über Roland Rainer diskutiert, seine belastete Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus, seine Publikationen und Bauten, seine Rolle in der Stadtplanung sowie sein Verhältnis zur Arbeitsgruppe 4 und die unterschiedlichen Vorstellung beider bezüglich einer Stadterweiterung.
Roland Rainer war Mitglied des Österreichischen Kunstsenats, von 1980 – 1999 auch sein Präsident. Seither bekleidet Hans Hollein diese Funktion. Es entspann sich eine Diskussion über die Einrichtung des Österreichischen Kunstsenats. Dieser definiert sich selbst als „eine Gemeinschaft von einundzwanzig hervorragenden schöpferischen Künstlerpersönlichkeiten. Seine Aufgabe besteht darin, die Anliegen der Kunst in der Öffentlichkeit zu vertreten, die öffentlichen Stellen in wichtigen Fragen der Kunst zu beraten und Maßnahmen zur Kunstförderung und zur Bewahrung der kulturellen Substanz anzuraten. In seine Kompetenz fällt das Vorschlagsrecht für den Großen Österreichischen Staatspreis und das Vorschlagsrecht für die Berufung der Staatspreisträger in den Kunstsenat.“
Im Gespräch war zu erfahren, dass dieses Gremium – ein Relikt des Austrofaschismus – kein Archiv im eigentlich Sinn habe und seine Akten sind nicht zugänglich seien. Die 21 Mitglieder aus den Bereichen Architektur, Bildende Kunst, Literatur und Musik müssen Träger des Großen Österreichischen Staatspreises sein und gehören dem Kunstsenat dann lebenslang an. Nur 4 der 21 Mitglieder sind Frauen http://www.kunstsenat.at/kunstsenat.htm. Auch bei Paaren wird der Preis nur dem Mann zuerkannt – z.B. bei den Windprechtingers, die immer zusammen gearbeitet haben.
Der Vorentwurf zum Wien Museum stammte von Roland Rainer, mit dem revolutionärem Konzept von Harry Glück, ein Konzept, mit dem sich das Museum abgeschafft hätte. Die These war: Man braucht kein großes Museum. Jedes Jahr wird sich ein immer aussagekräftigeres Objekt finden. Das Museum wird also winzig klein.
In der Ausführung hat Haerdtl versucht, sich auf aktuelle Museumsprojekte zu beziehen, z.B. das Stedelijk Museum, das damals in Glas und Stahl gebaut wurde. Der Bau am Karlsplatz war ein Konflikt beladener Prozess für Haerdtl, wie ein Briefwechsel dokumentiert. Franz Schuster spielt eine wichtige Rolle, er hat Oswald Haerdtl vom Nicht-Gewinnplatz zu bauenden Architekten gemacht. Franz Schuster war sehr mächtig. Er konnte sich mit riesigen Aufträgen versorgen (z.B Per-Albin-Hansson-Siedlung). Die ganze Wiederaufbaugeschichte hat er dominiert und die alten Nazis alle aufgenommen. Schuster ist auch für das Scheitern der Arbeitsgruppe 4 am Gemeindebau verantwortlich. In den frühen 30er-Jahren war er in Frankfurt, war Chefredakteur des AUFBAU. Die Frage wird gestellt, ob schon jemand versucht hat, „diese schmutzige Arbeit zu mache, da in die Archive hineinzugehen“. Der Nachlass von Schuster liegt unaufgearbeitet in der Angewandten.
Die Angewandte hat einen reichen Schatz an Nachlässen, berichtete Bernadette Reichhold vom Oskar Kokoschka-Forschungszentrum. So auch den von Hans Sedlmayr („Verlust der Mitte“) der sich 1948 in einem Vortrag mit dem Karlsplatz befasste: „Auf dem Karlsplatz darf es kein anderes Problem geben“ (als die Karlskirche…) Kurz fokussierte sich das Gespräch auf Oskar Kokoschka, der nach dem Krieg in Wien nicht gelandet ist, denn da war Herbert Boeckl, und auf Kokoschkas Galeristen und Freund Friedrich Welz, eine höchst zwiespältige Figur – einerseits Kunsthändler des Naziregimes, der Arisierungen betrieb, andererseits nach dem Krieg Promotor der Avantgarde.
Nicht nur Informationen und Wissen wurden ausgetauscht, sondern auch methodische Fragen diskutiert.
Bernhard Fetz riß die Frage nach den ästhetischen Konzepten an: „Die Dinge sind oft differenzierter als sie aufs Erste scheinen. Doderer z.B. ist oberflächlich betrachtet ein Vertreter des Monumentalromans. Wenn man aber genauer hinschaut, ist Doderer ein Avantgardist. Wie weit gehen die Schnittstellen? Das sieht man vielleicht nur von außen: So ist es z.B. Eduard Sekler, der die große Hoffmannbiografie schreibt….“
Ästhetische Konzepte sind nie nur schwarz oder weiß. Spalt hat z.B. sehr stark den NS-Architekten Paul Schmitthenner („Das deutsche Wohnhaus“) rezipiert. Wie geht er damit um? Alle haben Stifters „Nachsommer“ gelesen. Auch Thomas Bernhard hat Stifter gelesen. Wie geht man mit den Parallelwelten um? Wer hat sich dafür eingesetzt, dass Lois Welzenbacher eine Professur bekommen hat? Am Fall Welzenbacher zeigt sich eine typische Ambivalenz: Einerseits kriegt er eine Professur, andererseits lässt man ihn nichts bauen. Wie Plischke… „Es sei ganz spannend ist zu verfolgen, wer vorgeschlagen wird, wer dann wieder rausgefallen ist und mit welchen Argumenten“, bestätigte Bernadette Reinhold.
Bernhard Steger stellte fest: „Oft wird der rote Faden erst rückwirkend erzeugt. Ottokar Uhl hat die HTL in Zell/See besucht. Und er war Welzenbacher-Schüler.“ Bernhard Fetz stimmte zu: „Die Gefahr ist, dass wir einfach rückprojizieren. Interessant sind die Anknüpfungspunkte, unabhängig von der politischen Einstellung. Spalt hat schon vor der Formierung der Arbeitsgruppe 4 selbständig gebaut. Wie geht man mit dem veränderten Wertgefühl um?“
Andreas Nierhaus/Wien Museum zitierte Wolfgang Ernst: „Das Archiv sind die Lücken.“ „Otto Wagner hat kurz vor seinem Tod 1912 seine Fachbibliothek versteigern lassen. Warum legt er sie weg?“
Bernadette Reinhold: Das eine ist das Quellenstudium. Die Nachlässe wurden und werden jedoch sehr spät aufgearbeitet. Jetzt gibt es eine andere Generation von Forscherinnen und Forschern, die freier arbeiten kann, ohne Seilschaften.
Bernhard Fetz: „Es wäre auch spannend, die Manifeste zu vergleichen, die so prägnant sind, kurz, widersprüchlich, im Widerspruch zur Praxis, oft Ersatz für diese. Irgendwann verlässt der Holzbauer die Arbeitsgruppe 4, weil er bauen will. Irgendwann steigt Oswald Wiener aus der Wiener Gruppe aus, weil er einen großen Roman schreiben will. Es gibt nur dieses Anekdotische. Geht etwas tiefer? Geht etwas hinein ins Begriffliche?“
Monika Platzer schloss sich an: Wie kommt man vom Anekdotischen weg? Achleitner hat bis jetzt eigentlich die Geschichtsschreibung geprägt. Man muss in die Quellenforschung gehen. Noch leben Zeitzeugen.
Andreas Nierhaus artikulierte die beiden Kernfragen aus diesem Gespräch: „Wie kommt man vom Anekdotischen in die Forschung? Und wie kann man diese Forschungsnetzwerke fixieren über das Mündliche hinaus?“
Überlegungen zur weiteren interdisziplinären Forschungstätigkeit und zu einer möglichen Kontinuität der geknüpften Kontakte wurden besprochen. Monika Platzer resumierte: Niemand hat Zeit, Konzepte zu entwerfen. Jeder arbeitet von uns im Haus. Es wäre wichtig zu wissen, was der andere tut, wichtig, sich immer wieder zusammen zusetzen und anzudenken, was jeder für die nächsten Jahre plant. Den Schwarm informell halten, Publikationen sammeln.