“Arbeit an der Form”
Symposium “Teststrecke Kunst. Wiener Avantgarden nach 1945” – Panel-Block IV
21. – 23. Oktober 2009, Österreichische Akademie der Wissenschaften
„Kunstwerk“ und „Form“ als zentrale Kategorien der ästhetischen Theorie finden sich in den Wiener Avantgarden in einer Zerreißprobe zwischen Dekonstruktion und Konstruktion: Zunächst scheint der Begriff „Arbeit an der Form“ angesichts der Angriffe auf Formalitäten und Formalismen im Widerspruch zu den Programmen und Produktionen dieser Wiener Avantgarden zu stehen: Die Wiener Gruppe operiert jenseits der Form-Frage auf der Basis einer strengen Dekonstruktion der Beziehung Sprache-Wirklichkeit, der Aktionismus stellt das Phantasma der Spontaneität, des kreativen Akts, der Überschreitung von Tabus und Verboten über die Form.
Aber sehr schnell wird in den Lautgedichten die Geometrie beherrschend, bildet sich aus Materialbildern Systematik heraus, wächst aus dem Informel und dem Gestischen die Suche nach neuen Formen. Daneben positionierten sich in der Malerei unter dem Einfluss von Paris konstruktivistisch arbeitende KünstlerInnen und entstand andererseits das Bedürfnis nach „Wirklichkeiten“. In der Musik wurde nach der Auseinandersetzung mit dem Seriellen Eigenständiges entwickelt. Ein besonderes Beispiel von „Arbeit an der Form“ ist die Entwicklung graphischer Notationen.
In einem Feld ohne klarem Kanon von Formen und Formaten überlagerten sich heterogenen Motive: strenge Schnitte und Partituren gegen den „Fleck“; Hermetik von Lautgedichten und Theorietexten gegen das Aufgehen in der alltäglich oder kultisch konnotierten Situation; Radikalisierung des Materials gegen die medienreflexive Beobachtung von Beobachtungen. Am deutlichsten hat der Avantgardefilm analytische, serielle, konstruktive und „chaotische“ Motive verbunden: Im Expanded Cinema konvergierten die Entwicklungslinien der Wiener Avantgarde zwischen bildender Kunst, Körperaktion, Sprachkritik und Medienreflexion am ausgeprägtesten.
Der Panel-Block „Arbeit an der Form“ bildet einen Gegenpol zur Behandlung der Avantgarde-Manifestationen auf der Metaebene von kategorialen Überschreitungen und gesellschaftspolitischen Implikationen. Analysen der Differenzen, Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche innerhalb der Wiener Avantgarde sowie Vergleiche mit Pariser oder New Yorker Entwicklungen haben hier ihren Platz. Dabei ist auch auf neuere Formbegriffe zurückzugreifen: etwa den der Systemtheorie oder den des Performativen, auf der Ebene der Rhetorik, in werklosen kommunikativen Akten oder Handlungsanweisungen.
Das Symposium hat unter anderem das Ziel, interdisziplinär ein neues textuelles und methodologisches Feld aufzubereiten, das quer zu den kanonisierten Darstellungen der Wiener Avantgarde – und damit auch quer zu Medien und Formen – anzulegen ist.
Haben die Manifestationen der Wiener Avantgarde trotz ihrer Angriffe auf die Form den Kunstcharakter bzw. -status bewahrt?
Welche Funktion hatte die Form in den Manifestationen der Wiener Avantgarde?
Lassen sich Verbindungslinien der Wiener Avantgarden zu Pop, Trash, Punk, Techno oder postmodernen Strategien rekonstruieren?
Lässt sich produktiv die These von einer „Politik der Form“ entfalten?
Wie lassen sich die zumeist pauschal behaupteten Beziehungen zwischen Wiener Aktionismus und Psychoanalyse operationalisieren?
Lässt sich eine konkretere Landkarte der performativen Strategien der Wiener Avantgarde entwerfen?