Im ludischen Wirklichkeitskontinuum Blickender und Rechnender Räume.

Georg Russegger

Warum hat uns die Evolution die Lust am Spiel beschert, fragt die Berliner Medientheoretikerin Natascha Adamowsky. Eine Frage, die gern mit dem funktionalistischen Ansatz einer Fähigkeitsentwicklung bzw. Flexibilisierung von Handlungs- und Denkräumen im Kooperationskontext komplexer Entwurfskulturen beantwortet wird und die man sich auch im Kontext der Ausstellung »The Great Escape« stellen darf. Nur allzu selten stehen, wenn man an Spiele bzw. spielen denkt, in erster Linie die Absichten, Fähigkeiten zu schärfen oder sich FIT für die gesellschaftlichen Herausforderungen der zeitgenössischen Dynamiken zu machen, im Mittelpunkt. Vielmehr ist es die Lust am »Prekären« und an »Dingen wie sie nicht sind«, die den Antrieb dafür liefern.
Teilhaben an der kollektiven Halluzination der Metanoia unserer Zeit ist ein verlockendes Betriebssystem, dem sich immer mehr Menschen auf verschiedenste Arten hingeben. Wie im Ausstellungskonzept der Kuratorinnen Brigitte Konyen und Ilse Chlan zu lesen ist, geht es ihnen um den gemeinschaftlichen Prozess des Bilderfindens. Glücklicherweise können wir uns dadurch das Zelebrieren eines genuinen Künstlers und den Strich des Meisters ersparen und in den kooperativ-kommunikativen Kontext des »DIWO« (Do It With Others) wechseln. Vorerst reicht der Brückenschlag in das kulturtheoretische Prototop des Künstlertypus, der sich medienevolutionär schon mit den Perturbationen somatisch/semantischer Zweiseitigkeiten infogenetischer und mediamorpher Konfigurationsprozesse im Sinne eines formal-offenen und anschlussfähigem Anwendungszyklus anfreunden konnte. Nun geht niemand davon aus, dass dieser Lockruf des Theoretischen auch schon seine Reichweiten durchsetzt hat und bedarf einiger Erklärung.

Beginnend mit der gesetzten Projektmatrix des Ausstellungsprozesses sind es Subjekte, Situationen und Sequenzen, deren Rahmung die perspektivische Fluchtlinie eines, sowohl auf Seiten der kreierenden, als auch auf Seiten der kuratierenden Elemente einen Kontrollverlust hinnehmen müssen. Verlust deshalb, weil keine teleologische Endsetzung im Sinne einer Überwachung des Produktionsprozesses möglich ist und somit zu kontrollierten Zufälligkeiten führt. Die Zweiseitigkeit des Unterfangens zeigt sich auch in den Freiheitsgraden der Manipulations- und Gestaltungsmittel: Ein Zugewinn an Freiräumen und Interpolation einerseits, ein Eingriff in die Gestaltungshoheit von Schaffenden andererseits. Selten arbeitet sich ein Kunstprojekt, das mit einem mittlerweile klassischen Medium, wie der Photographie umgesetzt wird, konzeptuell so bestimmt an dem Verlauf von aktuellen medientheoretischen Fragestellungen ab. Wer ist der Gestalter, bzw. welche ko-kreativen Prozesse, die übrigens nichts mit populistischen Diskurssträngen eines Kreationismus zu tun haben, dominieren die Ko-Evolution einer Bildlichkeit? Anhand des vorliegenden Fallprojektes treffen verschiedenste Sinnsysteme aufeinander, die hier nur assoziativ umrissen werden können: Eine komplexe Verschaltung von bio-kognitiven, zellebralen und synaptischen Veranlagungen, algorythmisch-codifizierten und formal, farblich gestalteten Einheiten auf Basis telemedial-optischer Apperationen, gefasst in Silizium-, Netzwerk- und Dateninfrastrukturen, finalisierend zu sehen als materialisierte, hirnzentrierte Informationsvisualisierungen.

Das besondere Interesse bleibt aber dem Künstlichen zugewandt. Insbesondere den Zusammenhang aufgreifend, dass sich nach der Überführung in den rechnenden Raum meist kein aktiver bzw. intendierter Medienwechsel auf der Seite der kreierenden Entitäten mehr vollzogen hat. Aus dem Möglichkeitsspektrum der manipulatorischen Zufälligkeiten hat sich als Gemeinsamkeit die Standardisierung des digitalen Scheins als Transformationskalkül durchgesetzt, ein wechselseitig mechanisch übertragender Prozess, der zugleich einen überraschenden Moment offenlegt: Der kleinste gemeinsame Nenner, aber auch das größte gemeinsame Vielfache ist ein Programm, was wiederum streng biologisch formuliert, eine Homologie darstellt, die weder konzeptuell verlangt noch instruiert wurde. Ähnlichkeit, die nicht mehr an Material- und Formverwandtschaften festgemacht werden kann, sondern an der prozessualen Negentropie eines Selektionsverfahrens. Auffällig daran ist, dass es sich nicht um ein soziales oder kulturelles Programm handelt, wie zum Beispiel einen verallgemeinerten Möglichkeitsrahmen in Form eines Wirklichkeitsmodells, sondern um das Produkt einer börsennotierten, proprietären Softwareschmiede aus Kalifornien.

Auch wenn die Frage nach Werkzeugen in zeitgenössischen Wirklichkeiten nicht mehr anhand der Artefaktbeschaffenheit zu beantworten ist, wie das vielleicht noch anhand von Fundstücken aus dem Neolithikum möglich war, wird trotzdem klar, dass Medienkonvergenz leicht zu Softwaremonogamie und somit zu transkultureller Entwurfs- und Erfindungskonvergenz führen kann.
Wichtiger jedoch ist anzumerken, dass heute Entwicklungszusammenhänge im Vordergrund stehen, die experimentelle Schnittstellen generieren, welche in projektorientierten, dynamischen und mit ergebnisoffenen Logiken des Erfindens und Entwerfens gestaltet werden. Dies passiert verstärkt in kurz- und mittelfristigen kooperativen Sets sozio-technologischer Ausrichtung und Orientierung und nur noch begrenzt mit isolierten Werkzeugartefakten. Deshalb brauchen wir genau solche künstlerisch-kreative Experimentalumgebungen und Entwurfsbiotope, anhand derer die immer komplexer werdenden Prozesse des Erfindens und Entwerfens mit künstlerisch-kreativen Versuchsanordnungen bearbeitet werden.
© Georg Russegger 2010

Georg Russegger (*1978) ist Medien- und Kommunkationstheoretiker, Kurator und Künstler. Er promovierte bei Manfred Faßler. Als Post-Doc. war er an der Tokyo National University of the Arts bei Masaki Fujihata.
Als Scientific Manager an der Kunstuniversität Linz (INTERFACE CULTURES), ist er mit der Entwicklung eines “European Joint Masters” mit dem Namen LUDIC INTERFACES betraut.Georg Russegger ist künstlerischer Leiter des Festivals CODED CULTURES (www.codedcutures.org <http://www.codedcutures.org> ) und Gründungsmitglied des Forschungsnetzwerkes »Frankfurt Anthropologie des Medialen« (www.fame-frankfurt.de <http://www.fame-frankfurt.de> ). Letzte Publikation: Vom Subjekt zum Smartject (Turia und Kant, 2009)