Symbolisches Kapital im Netz

„Symbolisches Kapital im Netz“ war als interaktive Datenbank konzipiert, die die Generierung von symbolischem Kapital in kreativen Netzwerken untersuchen sollte. Drei verschiedene Kategorien von Elementen sollten durch quantitative Attribute und Tags miteinander in Relation gesetzt werden: Fragen, Entscheidungskriterien und künstlerische Arbeiten bzw. Statements. Es war gedacht, dass sich die Userin/der User sich loop-artig durch dieses Feld bewegt und sich mit Fragen und Kommentaren einbringen kann.

Im Laufe der Arbeit stellte sich die Dimension dieses Projekts als so groß heraus, dass die Planung dahin ging, “Symbolisches Kapital” in mehreren Modulen mit unterschiedlicher thematischer Fokussierung zu bauen.

Als erstes Modul ging 2009 KUNSTWIEN online. Realisiert wurde das Projekt durch Flo Ledermann, der durch die von ihm konzipierte und durchgeführte Vercodung des Romans Senghor on the Rocks auf Google Earth international bedeutende mediale Aufmerksamkeit erzielt hatte. Mehr dazu

Ziel des Gesamtprojekts „Symbolisches Kapital im Netz“ war es, Schritt für Schritt Zusammenhänge des kulturellen Felds zu erfassen und die Struktur von Prozessen der Reputations- und Machtbildung sichtbar zu machen.

Basis für das Projekt sollte das wachsende Archiv werden, das sich aus den Daten jährlich veranstalteter Events speist. Exemplarischer Start war das digitale Dokumentationsmaterial aus ViennArt 2008, das als transdisziplinäre Recherche zum Thema „Entscheidungen. Wien und das symbolische Kapital“ konzipiert wurde.


Das Festival ViennArt. Entscheidungen. Wien und das symbolische Kapital am 11/12. Oktober im MUSA wurde von mehr als 60 AkteurInnen und Akteuren aus Kunst und aus Wissenschaft gestaltet – mit einer als Entscheidungsparcours konzipierten Ausstellung von Arbeiten digitaler Kunst, neuer Medien und Bildender Kunst, einer Diskussion zum Thema, zwei Konzerten elektronischer Musik, einer Lesung, einer Performance und einer Open Space-Konferenz.

Aus dieser Veranstaltung sowie den Ergebnissen einer Befragung der NetzwerkteilnehmerInnen sollten in einer interaktiven Datenbank archiviert werden:
– Fragen zum symbolischen Kapital von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen und ihren Strategien, ebenso Fragen zum symbolischen Kapital von Institutionen und ihrem Umgang damit.
– Entscheidungskriterien der KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zu ihrer Arbeit und zum ihrem Standort
– Fotos von KünstlerInnenarbeiten zum Thema „Entscheidung“ sowie Audio-aufnahmen aus der Diskussion, den Konzerten und der Open Space-Konferenz

Es war gedacht, die UserInnen einzuladen, das Feld ViennArt in Loops von Fragen, Begriffen und künstlerischen Emanationen zu durchwandern und dabei selbst ihre Ideen und ihre Antworten einzuspeisen. Indem sie aus der Fülle von Elementen eigene Schleifen bildeten, hätten sie die auf Tagging-Basis programmierte Struktur beeinflusst. Als Grundlage wurde die Logik von Aktionsforschung angenommen.

Das Projekt „Symbolisches Kapital im Netz“ sollte ein Feld von Entscheidungsprozessen abbilden, die zur Bildung von symbolischem Kapital führen. Entscheidung wäre sowohl als „Entscheidung zu …“ als auch als „Entscheidung zwischen ….“ und schließlich als „Entscheidung über…“ zu untersuchen gedacht gewesen.

Symbolisches Kapital ist das Ergebnis von Prozessen. Menschen werden in ihrem spezifischen Handeln wahrgenommen, und diese Wahrnehmungen verdichten sich zu kritischen Größen des Besonderen – dem symbolischen Kapital.

„Die symbolische Macht ist eine Macht, die in dem Maße existiert, wie es ihr gelingt, sich anerkennen zu lassen, sich Anerkennung zu verschaffen“ sagt Pierre Bourdieu (Interview mit D. Eribon „Die verborgenen Mechanismen der Macht enthüllen“ in „Libération“ vom 19.10.1982 über „Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches“)

Hier die Fragen, die Wahrnehmung – dort die Entscheidung, das Handeln, das Werk. Dazwischen stehen Motive: Schaffensdrang, Freiheitsbedürfnis, Lust zu gestalten bei den innovativ Operierenden – Offenheit, Neugierde bei den Wahrnehmenden.

Das Projekt zielte auch darauf ab, die Star/Publikums-Relation zu einer Beziehung auf Augenhöhe zu transformieren: Ein Feld von Betrachtenden, Zuhörenden begegnet einem Netzwerk von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen. Die beiden Felder vermischen sich, interagieren. Wenn die Abhängigkeiten als gegenseitige sichtbar werden, ist emanzipative Veränderung möglich. Struktur ist in Kunst wie in Alltag Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und wird durch diese verändert.

Ziel war es, die „Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen“ (Pierre Bourdieu) eines Feldes sichtbar zu machen, um ihre Wirkungen bewerten zu können und Impulse zu setzen.

Ressourcenmangel ließ das ehrgeizige Projekt jedoch scheitern: Das selbst organisierte Fördermodell Netznetz der Stadt Wien, das den Start mit der Testphase der Plattform KUNST:WIEN getragen hatte, wurde von der Stadt geschlossen. Es gab keine Ressourcen mehr zum Update und der Weiterentwicklung durch Flo Ledermann. Und auch das MUSA war nach der sehr erfolgreichen zweiten ViennArt 2009 nicht mehr bereit, ein weiteres solches interdisziplinäres Festival von eop zu hosten. KUNSTWIEN ging deshalb 2012 vom Netz.