| echt welt texte |

Vortrag von Christiane Zintzen bei Sound Barrier, Festival für Hörkunst im Raum, Wien

|| DIE REIHE | SPIELREGELN | LITERATUR ALS RADIOKUNST – JENSEITS DES RADIO- APPARATS | TRANSMEDIAL STATT TRANSITORISCH | LINKS

HÖRSTÜCKE , DIE FÜR SICH SPRECHEN : DREIZEHN JAHRE LITERATUR ALS RADIOKUNST¹

DIE REIHE

Im Hörspiel , auf Tonspuren und via Textlesung tönt die Literatur geläufig aus dem Lautsprecher . Was aber mag man sich unter den Label Literatur als Radiokunst vorstellen? – Im Rahmen der Ö1— Sendung “Kunstradio“, wo seit jeher Künstler in Eigenregie experimentelle Projekte realisieren , ist auch die Dichtung stimm- berechtigt : Literatur als Laut- und Leisepoesie im Originalton ihrer Schöpferinnen und Schöpfer , digital geschnitten und angelegt , bearbeitet und instrumentiert durch elektroakustische Effekte .

1999 auf Anregung der Medienkünstlerin Liesl Ujvary erstmals auf Sendung , seit 2001 von der Germanistin Christiane Zintzen betreut , bringt Literatur als Radiokunst pro Jahr vier genuine Autorenproduktionen heraus , seit 2005 in räumlichem Surround Sound . Gebündelt in zwei Ausgaben des “Kunstradio”, werden die literarischen Klangskulpturen Ende Juni und Anfang Dezember gesendet.

Mit jedem Autor , mit jeder Autorin regiert sozusagen eine singuläre Poetik das Literatur als Radiokunst- Studio , um dort – zunächst vor dem Mikrofon , später an den Reglern des Mischpults – innert dreier Produktionstage eine möglichst passgenaue Klangästhetik für den meist eigens im Hinblick auf das Medium “Radio” eingerichteten Text zu entwickeln .

Jedes Mal hebt damit erneut ein komplexer Prozess des Probierens und Experimentierens an : Einsprechen , Ausssprechen , Verwerfen , Wiederholen , Wiederhören , Neuansetzen , Abwägen . Hier ein paar Sekunden mehr , dort einen Taktschlag langsamer . Artikulation , Sprechdynamik , Intonierung , Stimmintensität .

Da die Sendereihe Literatur als Radiokunst den Literaturschaffenden alle Möglichkeiten öffnen möchte, unter professionellen Studiobedingungen mit und an der stimmlichen Verwirklichung eines Textes zu arbeiten , mag man sich getrost für einmal von der bei Lesungen unererlässlichen Linearität trennen .

Mehrstimmigkeit- und Gleichzeitigkeit der personalen Performance können im Studio in Form von sukzessiven Aufnahmen und / oder durch mehrfache Mikrophonierung generiert werden . Die solcherart eingesprochenen Versionen und Variationen werden dann – Sekunde für Sekunde , Ton um Ton – im Surround- Panorama angelegt , montiert und polyphon komponiert .

Die Idee der Reihe , Autorinnen und Autoren an die autonome Produktion literarischer Klangwerke heranzuführen , kam und kommt manchen Literaturschaffenden entgegen : Ann Cotten , Franz Josef Czernin , Händl Klaus , Barbara Köhler , Hanno Millesi und Kathrin Röggla haben hier ihre Audio Art- Experimente begonnen ; Urs Allemann , elffriede , Michaela Falkner , Wolfgang Helmhart , Richard Obermayr und Ulf Stolterfoht produzierten hier erstmals für einen öffentlich- rechtlichen Sender . Souveräne Sprecherinnen waren mit Nora Gomringer , Christian Loidl , Elfriede Jelinek , Michael Lentz , Franz Mon oder Christian Steinbacher am Wort ; Mit Oswald Egger ( 2004 ) und Anja Utler ( 2008 ) wurden zwei dieser Erstlingswerke mit der renommiertesten Auszeichnung für Klangkunst im deutschsprachigen Raum – dem “Karl Sczuka- ( Förder- ) Preis” des SWR – ausgezeichnet .

Insgesamt wurden in den vergangenen 13 Jahren 54 AutorInnen- Produktionen realisiert ( Stand 2012 ) , wobei sich “die Technik” – von der Produktion in Stereo zu jener in 5.1.Surround Sound , von der Exklusivität des Radiostudios zu den mittlerweile ( und dies nicht nur bei der Generation der Digital Natives ) geläufigen Heimstudios – in ständigem Wandel befindet und komplexe Werke auch jenseits der Institutionen entstehen . Diese Veränderungen gilt es laufend mitzureflektieren und in den Produktionsprozess zu integrieren .

Die genannten Namen und Daten sollen mitnichten eine Erfolgsgeschichte insinuieren , sondern die enorme Diversität der künstlerischen Ansätze ebenso evozieren wie die Vielfalt der literarischen Temperamente und nicht zuletzt : die immer wieder staunenswerten Register der einzelnen Stimmen .

|||

SPIELREGELN

Literatur als Radiokunst ist eine Präsentationsform von Literatur im Radio abseits der traditionellen Genres wie “Lesung” und “Hörspiel” .

Literatur als Radiokunst bedeutet , Autorinnen und Autoren prinzipiell Autonomie bei der akustischen Realisation ihrer Texte einzuräumen : Deren auditive Gestaltung unterliegt nicht dem Konzept eines Regisseurs , sondern geschieht nach dem prononcierten Willen der Autorinnen und Autoren .

Literatur als Radiokunst zieht als Ausgangsmaterial für die Klanggestaltung die Tonspuren der von der Autorin oder dem Autor im Studio selbst gesprochenen Texte heran .

Literatur als Radiokunst basiert auf einer “Spielregel” : nämlich , dass als Klangquelle die Stimme und nichts als die Stimme fungiert . Was heisst , dass keine “fremden” Zuspielungen zur Gestaltung herangezogen werden : sämtliche Atmosphären und Klangeffekte werden aus der Vox Humana und deren elekroakustischer Bearbeitung generiert . Diese Spielregel mag – analog zu den systematischen , selbstauferlegten und produktiven gestalterischen Beschränkungen der Dichter des OuLiPo – einerseits die Phantasie anregen , auf welche Weise bestimmte Sounds und akustische Anmutungen ins Werk zu setzen seien , intendiert dabei aber gleichzeitig , vokale Potenziale zu mobilisieren : Krächzen , Singen , Brüllen , Flüstern usf .

Literatur als Radiokunst fokussiert auf die basalen Komponenten von Literatur : Text und Stimme . Damit entwickelt Literatur als Radiokunst mit jeder neuen Produktion polyphone Alternativen zu den einstimmigen , mehr oder weniger linearen Aufführungs”formaten” von Dichtung . Die Studiotechnik bietet mit + / – 50 Spuren und einer fast unüberschaubaren Menge von PlugIns zur Kompression , Modulation , Filterung usw. vielfältige Möglichkeiten , die aus dem Stimmspiel gewonnenen Klangmaterialien – sei es konzeptuell , sei es experimentell – zu manipulieren .

Literatur als Radiokunst erachtet Grenzgänge zwischen Musik und Literatur , zwischen “hohen” und “trivialen” Genres als durchaus willkommene Stilmittel .

Literatur als Radiokunst soll der weiteren Aufführung oder Installation der Klangwerke im Raum insofern Vorschub leisten , als An- und Absage von den Autorinnen und Autoren selbst gesprochen und in die Hörstücke integriert werden . Auf diese Weise benötigen die Klangwerke nicht notwendig eine traditionelle Moderation und können damit sozusagen für sich sprechen .

Literatur als Radiokunst strebt darüber hinaus nach einer performativen Reflexion des Mediums “Radio” ( sowie ) dessen Möglichkeiten bzw. Beschränkungen .

Da es im “Literarischen Quartier Alte Schmiede” ( Wien ) eine seit den 70er Jahren gepflegte Tradition des konzentrierten public listenings ausgewählter literarischer Hörspiele gibt , war es möglich , die Aufführung der Literatur als Radiokunst- Produktionen im Veranstaltungsraum der “Alten Schmiede” auszuprobieren – und mittlerweile zu etablieren.

Dank der technischen und personellen Unterstützung seitens des Senders Ö1 wird für diese Gelegenheit ein aufwändiger 5.1 Surround- Aufbau von hochqualitativen Lautsprechern eingerichtet , um dem Publikum samt den ebenfalls anwesenden Autorinnen und Autoren die Möglichkeit zu bieten , die Hörstücke quasi in Vollversion wahrzunehmen .

Das direkte Feedback seitens eines live und leibhaftig sicht- und greifbaren Publikums mag die Künstler und Künstlerinnen versöhnen mit den Aspekten von “Flüchtigkeit” und “Körperlosigkeit” , welche der Radiophonie nun einmal eignen .

Die konkrete Aufführung der vier integralen Werke mag
1. dazu beitragen , die Eignung der Werke auch als eigenständige Sound- Installationen im Raum zu ermessen ,

2. den pragmatischen Erfahrungsaustausch zu fördern sowie

3. ästhetische , dramaturgische und technische Fragen mit den Künstlerinnen , dem Publikum und dem “Kunstradio” -Team zu erörtern .

Die fruchtbare Kooperation mit Literaturveranstaltern erwies sich auch , als wir zum 10jährigen Bestehen der Reihe Literatur als Radiokunst eine “multi-” bzw. “transmediale” Ausstellung im Wiener Literaturhaus gestalten durften . Autoren und Autorinnen waren eingeladen , Textinstallationen auch optisch zu gestalten . Mittels mehrerer Hörstationen und ausgewählter Werke wurde ein Querschnitt der Formenvielfalt von literarischen Radiokunststücken erschlossen .

|||

TRANSMEDIAL STATT TRANSITORISCH

Aus dem Gesagten ergibt sich , dass Literatur als Radiokunst- Autoren und Autorinnen nicht lediglich punktuell produzieren , um nach der Ausstrahlung ihres Hörstücks auf Nimmerwiederhören zu verschwinden , sondern dass sie in einen längerfristigen Kommunikationszusammenhang eingebettet werden . Dies reicht von ausführlichen Gesprächen in der Vorbereitungsphase zur pragmatischen Studioarbeit unter Betreuung eines kundigen Tonmeisters . Hier , im konkreten Klanglabor , sind auch Feedbacks und Anregungen von seiten der der Kuratorin und Kollegen (wenn erwünscht) vorgesehen . Gleichzeitig werden auf der “Kunstradio”- Homepage Klang- , Bild- und Textmaterialien zu den einzelnen Produktionen angeboten .

Die im literarischen Weblog in|ad|ae|qu|at ( wwww.zintzen.org ) publizierten “Produktionsnotizen” dokumentieren die individuellen Entstehungsprozesse der einzelnen Hörstücke in sprachlicher , konzeptueller und technischer Hinsicht. Die ereignisnah verfassten “Notizen” mögen einerseits als eine Art Making of dokumentieren , was in der black box des Studios geschieht . Einerseits . Anderseits sind die Notizen äusserst hilfreich beim Aufsetzen der Moderation , da sie dazu beitragen , die Entstehung der Klangwerke auch Monate später zu vergegenwärtigen .

Nach der Ursendung im “Kunstradio” werden – wie schon angesprochen – die innerhalb eines Jahres gesendeten Sprach- und Klangwerke einem literarisch versierten Publikum in professionellem 5.1— Aufbau vorgeführt , womit eine weitere Etappe der Rezeption erreicht wird . In der Tat fordern wir die Autorinnen und Autoren dazu auf , ihre Klangwerke in Lesungen zu integrieren oder im Rahmen von Ausstellungen zu präsentieren .

Dank der grosszügigen Spielräume , welche uns Elisabeth Zimmermann seitens der “Kunstradio”- Redaktion gewährt und nicht zuletzt dank des produktiven Engagements versierter Tonmeister entstehen jährlich vier distinkte Sprach- und Stimmszenarien , deren Resultate in Wort und Sound, im Web wie im Raum wahrzunehmen sind .

Mit all diesen Hintergründen sei illustriert , dass wir Literatur als Radiokunst als eine Form des Möglichmachens verstehen . Das Radio soll in diesem Fall den Künstlern und Künstlerinnen dienen und nicht umgekehrt .

|||

¹ – Vortrag @ sound barrier : Wiener Festival für Hörkunst im Raum , Juni 2012

|||

LINKS

ORF- Kunstradio

Literatur als Radiokunst – Materialien

Literatur als Radiokunst : Autoren und Autorinnen 1999 – 2012

Literatur als Radiokunst : Produktionsnotizen

Literatur als Radiokunst @ Alte Schmiede, Wien

5.1 Surround Sound