Nach der analen Phase die Schlacht: Christian Baiers Panzerschlacht. Edition Splitter 2009.
Die postmoderne Literatur hat ihre anale Phase nicht bewältigt, so die implizite Diagnose des neuen in der Edition Splitter erschienenen Textes von Christian Baier. Was folgt, ist eine „Panzerschlacht“ von Ich und Über-Ich im Labyrinth der Wort-Panzer, denen jegliche Sinnlichkeit abhanden gekommen ist.
Der „Schmutzengel“ der Skripturalität sucht Voci-Soli und findet doch immer nur „Nacht“. „Und es ist Nacht“ zieht sich als romantische Worthülse durch den zyklischen Text. Der Sprung in die Apokalypse wird zum uneingelösten Ziel, zur Sehnsucht auf der Kreisbahn des Morbiden.
Das mulitfokale Ich, das ganz in postmoderne Manier sein Medium von Lyrik zu Prosa, von Bild (schwarz-weiß Fotos von Thomas Maximilian Jauck) zu verschiedenen Schriftsätzen wechselt, entdeckt an Stelle seiner Feuchtgebiete trockengelegte Sterbegebiete. Sie werden zur Bühne für ein mehrdimensionales Ego-Spiel, in dem Liebe, Tod und Leidenschaft zu Statisten degradiert werden.
Indem Baier (wie bereits in seinem Roman romantiker) mit der Idee spekuliert, einen posthumen Blick auf das Ich zu werfen, („Ich tat ihm den Gefallen und starb.“) führt er in einer surrealen Wendung die cartesianische Idee fort, die res cogitans könnten auch ohne die res extensa existieren.
Doch selbst diese res cogitans haben in dieser Schlacht ihre Signifikate verloren: Das Bewußtsein ist ein Panzer und das Unbewußte wird geschlachtet.
Die Erzählerfigur wird zum Hungerkünstler: „Nachdem ich die letzte Zigarette geraucht hatte, verspürte ich einen wahnsinnigen Hunger. Ich war schon nahe daran, gegen die Spielregeln zu verstoßen.“ Das Ich, in seiner Geschlechtlichkeit durchaus ambivalent, hat seinem Geliebten ein Todesspiel aufgezwungen: „Für ihn Sterben“, ist das Ziel. In passiver Aggressivität wird Tod gespielt. Dem Hungerkünstler, einer der auffälligeren intertextuellen Verweise, wird der Telefon“hörer“ zur Gabel und der Leser zum Gegner, dem ein voyeuristischer Blick aufoktruiert wird. Dieses Ich behält die Kontrolle, ganz gemäß der Freudschen Theorie, doch muß hier nichts zurückgehalten werden als die Leere. Askese und Kontrollzwang beginnen bereits vor jeglicher Nahrungsaufnahme. Ultimatives Lustempfinden entsteht durch totale Entsagung und ist so unkörperlich wie die Gegenstände der Ersatzbefriedigung: der Rauch oder das fremde Ich-Gespenst der Kommunikation.
Dem selbstbezüglichen Text gerät Oralität zur Haßliebe. Direkte Rede wird bewußt vermieden. Es gibt nur Personalpronomen, und auch der Krieg bleibt unbenamt. Der anale Erzähl-Charakter kann dem Zwang zum Schreiben nicht entfliehen und sehnt sich doch im Grunde nach dem Flüchtigen, der Mündlichkeit, kurz, nach dem, was jeder gedruckte Text bereits a priori auschließt: „Öfters fiel der Satz: Darüber müßte man eine Geschichte schreiben, und immer wenn jemand das sagte, wurde einem bewußt, daß keine Zeit mehr war, eine Geschichte zu schreiben, wohl aber sie zu erzählen.“
Panzerschlacht wird zu einem absurden Fest der Nekrophilie seiner eigenen Medialität. Die jedem Text inhärente Erinnerungsfunktion mutiert zum letzten Rettungsanker. Denn: „Wie schwer das Vergessen, wenn Erinnerung fehlt“. Intertextuelle Verweise haben deshalb fast zynischen Charakter. Wenn beispielsweise Prosa mit einer als „il canto sospeso“ überschriebenen „gebundenen Rede“ alterniert. So ist diese Referenz auf das in Antwort auf Thomas Manns „Letzte Briefe zum Tode verurteilter aus dem europäischen Widerstand“ entstanden Werk Luigi Nonos nur ein weiterer Panzer, ja eine Barrikade gegen den mächtigen außertextuellen Gegner.
Im Endspiel der Texte haben sich auch die Referenten entleert. Der Verweis selbst agiert als Hungerkünstler: Er atmet Leere ein. Das Referenzwerk wird zum Fetisch, den kein noch so sadistischer Dekonstruktivimus zu zerstören vermag.
So vollzieht Baier die Flucht nach vorn in ein lustvolles Erleben der Opferrolle. Nur in dieser masochistischen Geste gibt es für den Regisseur poststrukturalistischer Versatzstücke ein Überleben in der Katastrophe seines eigenen Mediums. Und eben hierin wird die Panzerschlacht zum interessanten Zeitzeugen gegenwärtiger Diskurse.
(Rebecca Schönsee)