Ziele:

Avantgarde ist ein Leitbegriff für die Künste des 20. Jahrhunderts, besonders deutlich in einigen Ballungen von 1910 bis 1933 und von den 1950er bis in die 1970er Jahre. Mit dem Etikett Avantgarde kann dabei sowohl eine epochenhistorische Klassifizierung, vergleichbar vorangegangenen Groß-Epochen, gemeint sein als auch eine systematische Bestimmung einer künstlerischen Einstellung und eines den Kunstwerken ablesbaren Prinzips. Beide Ausdifferenzierungen des Begriffs Avantgarde, die eng miteinander zu tun haben, werden in der Ringvorlesung „Avantgarde. Dynamisierung der Künste“ in ihren Grundzügen reflektorisch entfaltet und in ihren zentralen Konzepten an signifikanten Beispielen unterschiedlicher Künste beleuchtet, wobei auf die österreichische Nachkriegsavantgarden ein besonderer Akzent gelegt wird.

Avantgarde wird dabei nicht als eine definitorische Setzung verstanden, sondern als eine formative Kraft, die in den einzelnen Künsten wirksam wird und als dynamisches Prinzip über eine Begrenzung in Einzelkünsten hinausgeht. Die in der Vorlesung angebotenen und diskutierten Erklärungsmodelle umfassen folgende Bereiche:
– die Hinwendung von Kunst auf ihr jeweiliges Material und ihre Medialität (wobei die Begriffe “Material, Medium, Form” ihrerseits eine Klärung erfahren sollen)
– die Intermedialität unterschiedlicher Künste (Literatur, Musik, Film, Performance, Architektur und Mode) und die konkrete Kooperation von KünstlerInnen als konstituierende Faktoren von Avantgarde
– eine Befragung des über die formalen Mittel der Avantgarden hinaus wirksamen Prinzips, das einer so bezeichneten Transmedialität zugrunde liegt
– die Aufhebung eines (organischen) Werkbegriffs
– das Verhältnis von Avantgarde zur (Kunst-)Geschichte, Moderne und Postavantgarde
– die Auflösung der Kategorie Kunst in Richtung Wissenschaft (als “renegade scientists”) und in Richtung politischer Zerfallsformationen (Anarchismus)
– den Erkenntnisanspruch der Avantgarde, Kunst als Erklärungsform jenseits dessen zu setzen, was der Wissenschaften unzugänglich ist
– die Rolle, die die Gruppenarbeit, das Manifest und andere genuine Ausdrucksformen für das Selbstverständnis der Avantgarde spielen
– die genealogische Einschreibungen der Avantgarde, ablesbar auch an Archiven und Museen
– die soziohistorischen und ökonomischen Voraussetzungen, die zur Ausbildung von Avantgarde führen und umgekehrt: die soziohistorische Impacts von Avantgarde
– die Frage nach der Aktualität oder dem Ende von Avantgarde

Unter Beteiligung internationaler ExpertInnen und mit Blick auf internationale Ausprägungen lotet die Ringvorlesung solche Fragen vornehmlich an Phänomenen der österreichischen Nachkriegs-Avantgarden im Bereich der Literatur (Wiener Gruppe), der Körperkunst (Wiener Aktionismus) sowie des neuen österreichischen Films sowie anhand von utopischen Konzepten der heimischen Architektur aus. Die österreichische Avantgarde soll in ihren spezifischen Erscheinungsformen greifbar gemacht und dabei in einen internationalen Zusammenhang gebettet werden. Auch auf die Interdisziplinarität der präsentierten Forschungsansätze setzt die Ringvorlesung einen starken Akzent.