Auf meiner Studienreise 08 nach Namibia habe ich folgendes Interview geführt. Es erschien in Eine Welt/Die Brücke, Ausgabe 05/2008.
Namibia: Grundeinkommen gegen AIDS
Das Namibia Network of AIDS Service Organisations (NANASO) unterstützt ein Pilotprojekt zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Rev. Dr. Claudia Haarmann, Koordinatorin der Basic Income Grant Coalition und Mitarbeiterin des Desk for Social Development der Evangelischen Lutherischen Kirche sprach in Windhoek mit Markus Schallhas.
MS: Ihr zahlt an die 1200 BewohnerInnen der Siedlung Otjivero für zwei Jahre monatlich 100 Namibische Dollar oder 8 Euro. JedeR von 0 bis 59 ist NutznießerIn. Ab 60 gibt es in Namibia eine universelle Rente. Ihr , das ist die Basic Income Grant Coalition, ein Zusammenschluss vieler wichtiger Gewerkschaften, Kirchen und NGOs. Was verbindet derart unterschiedliche Organisationen? Warum ist auch der Dachverband der Aidsorganisationen dabei?
CH: Es stimmt, es sind alle wichtigen Dachverbände dabei. Es ist die größte zivilgesellschaftliche Koalition gegen Armut seit den Apartheidszeiten. Eines der Hauptargumente für den Basic Income Grant (BIG) ist die Aidsepidemie. Namibia bietet zwar die Medikamente in den Hospitälern an. Aber das Problem ist die Ernährungssicherheit und bei den Aidsmedikamenten ist es wie bei vielen Medikamenten so, dass sie, wenn man nicht vernünftig isst, nicht wirken, sondern giftig sind. Viele Menschen können die Medikamente dadurch nicht nehmen. In den ländlichen Gebieten gibt es außerdem das Problem des Transports.
MS: Was sind eure ersten Erfahrungen?
CH: Ja, es ist sehr viel passiert. Eigentlich ist es so, dass die Erwartungen total überschritten wurden. Es gibt zum Beispiel eine kleine Klinik in Otjivero. Die Krankenschwester versucht seit Jahren die Aidsmedikamente ins Dorf zu bekommen. In Namibia werden sie nur in den Krankenhäusern ausgegeben und das hieß praktisch für die Leute 70 km Fahrt. Weil keiner Geld für Transport hat, ist auch niemand dort hingefahren. Oder wenn, dann war es total schwierig. Am Anfang muss man jeden Monat fahren. Voriges Jahr waren es drei Leute, die die Medikamente gekriegt haben, jetzt sind es 36. Und das zeigt, dass der Bedarf da war und die Leute es sich einfach nicht leisten konnten. Nach der Einführung hat die Krankenschwester wieder mit dem Ministerium gesprochen und die haben jetzt gesagt, dass sie die Aidsmedikamente in der Klinik ausgeben werden.
MS: Wofür wird das Geld sonst noch verwendet?
CH: Der Großteil des Geldes wird für die Grundversorgung ausgegeben. Hunger und Unterernährung sind ein Riesenproblem. Die Krankenschwester der Klinik hat gesagt, dass sie vorher regelmäßig, zwei, drei mal pro Monat, Kinder ins nächste Krankenhaus bringen musste, einfach wegen Unterernährung, und seit Januar gibt es das nicht mehr. Sie hat keinen einzigen Fall von Unterernährung mehr gehabt, der so schlimm war, dass das Kind ins Hospital aufgenommen werden musste und auch die Durchfallerkrankungen sind deutlich zurückgegangen, was ebenso ein Riesenerfolg ist.
Das Wichtigste für mich ist, dass den Leuten die Würde zurückgegeben wurde, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr nur Bettler zu sein. Das merkt man, wenn jemand zu einem kommt und sagt „Ich hab mir eine neue Hose gekauft. Ich kann jetzt wieder unter Menschen gehen.“ Also, dass die Leute das Gefühl haben, dass sie sich nicht verstecken müssen, weil sie nichts wert sind und weil jeder denkt, wenn sie zum Nachbarn gehen, dass sie nur kommen, um Essen zu erbetteln. Leute, die in absoluter Armut leben, sind von anderen Menschen abhängig, von der Gemeinschaft, von der Regierung. Aber wenn man eine gewisse Einkommenssicherheit hat, dann hört diese Abhängigkeit auf und sie fühlen sich befreit.
Wir haben einen Vater interviewt, der nach der Ausbezahlung zur Schule gegangen ist. Als ihn der Lehrer gefragt hat, in welche Klasse seine Tochter geht, hat er geantwortet, dass er keine Ahnung habe. Jetzt aber habe er für die Schule bezahlt und jetzt will er auch, dass sein Kind etwas lernt, und das zeigt einfach, dass die Leute Verantwortung übernehmen. Wenn man nicht bezahlt, dann kann man auch nicht zur Schule gehen, wenn etwas falsch läuft.
Die Schule hat gesagt, dass doppelt so viele Eltern bezahlt hätten. Sie haben jetzt zum ersten Mal genug Geld, um Papier und Toner für die Kopiermaschine zu kaufen. Man muss hier einen relativ niedrigen Betrag für die Schule bezahlen. Das zeigt, wie wichtig es den Leuten ist, dafür das Geld auszugeben.
Man sieht auch, dass die Leute ökonomisch aktiv werden. Es haben sich zwei neue Geschäfte gebildet, die Grundnahrungsmittel verkaufen oder einfach nur, dass Leute Brötchen backen und verkaufen oder dass ein Haarsaloon aufgemacht hat. Das Monopol des bisherigen Geschäftsbesitzers wurde aufgebrochen, was für die Preise nur gut war.
MS: Wie soll es weitergehen?
CH: Wir werden die Ergebnisse der ersten Vergleichsstudie im Oktober publizieren und alle sechs Monate eine neue Studie machen. Die Regierung ist bis jetzt zögerlich. Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Pilotprojektes überzeugen.
MS: Braucht Ihr Unterstützung?
CH: Ja, wir brauchen noch Geld. Wobei das Fundraising eigentlich recht positiv angelaufen ist. Also das muss man jetzt schon sagen, dass aus sehr unterschiedlichen Stellen große Unterstützung kommt. Wir sammeln allerdings nur für die Ausbezahlung und die damit verbundenen Kosten. Das ist alles, es geht um nichts anderes.
Mehr zum Pilotprojekt:
Die offizielle Seite der BIG Coalition mit Hintergrundmaterial.
http://www.bignam.org
Das weltweite und das österreichische Netzwerk für ein Grundeinkommen berichten regelmäßig.
http://www.basicincome.org/bien/news.html
http://www.grundeinkommen.at/
Weitere Artikel von mir.
http://www.augustin.or.at/index.php?art_id=1084
http://www.suedwind-magazin.at (Ab November im Archiv).