BodenKultur, ein kritisches Untersuchungsfeld für Kunst

Wissenschaft und Kunst beflügeln einander. Dazu müssen sie gelegentlich (ent)gegenfliegen, ihr angestammtes Gebiet verlassen oder zumindest die Grenzen aufmachen. Diese „Kultur“ als Haltung und der „Boden“ auf dem unsere Füße stehen 1) sind Ausgangspunkte für die Auswahl von zehn Künstlerpositionen. Kultiviertheit im gedanklichen Umgang mit Territorium haben diese KünstlerInnen/Gruppen intus.

Die Werke und Projekte gehen von einer Kunst als Forschungsvorhaben aus – ob es nun die „Zentrifuge“ von Cynthia Schwertsik ist, eine ganz persönliche Schwerkraftstudie und zugleich ein performatives Fahrgestell, das während der gesamten Ausstellungszeit die Computerbildschirme an der BOKU schont, oder das interdisziplinäre, mehrmonatige Grazer Reiseprojekt von TO|YS mit ihrer komplexen Müllrecherche in Afrika, das zudem einen Schwerpunkt innerhalb des Symposiums haben wird. Isabel Czerwenka-Wenkstetten geht radikal auf Fremdes zu, um beidseitige Vorurteile in mehreren Ländern zu orten und dialogisierend diese „foreign affairs“ zu visualisieren; und Claudia Mongini zeigt männliche Vorurteile gegenüber Wissenschafterinnen in der eigenen Zunft auf und rehabilitiert in Physics Today durch einen intelligenten Kunstgriff „Lise Meitners Maschine“.

Kultivieren lassen sich „Wall Flowers“ von Red White zwar nicht, aber sie stehen als riesige Objekte in der Aula, wie angewurzelt, blinkend und klingend . Prototyp einer sich ausbreitenden Spezies sind die Blüten und Wurzeln des Riesenbärenklaus „Heracleum mantegazzianum“, ein Sinnbild für Überlegungen zur Eugenik von Bernhard Kathan, der ihm mit Arbeitshandschuhen experimentell zuleibe rückt, was er in der beigefügten Publikation fotografisch zeigt und weiterdenkt. Wer böte mehr gesellschaftlichen Übersetzungsanlass als die unbeirrbare Ameise, auch sie eine Wanderin, die sich etwa Pilze zunutze macht und als „Atta cephalotes“ von Judith Egger eine installative Schneise durch die Bibliothek schlägt.

Migration oder zumindest starke Motivationen dazu sind allen Projekten und Arbeiten hier eigen, so auch der Installation/Studie „Saisonstadt-Saisonopening“ von Michael Zinganel/Michael Hieslmair, die über Kulturtransfer durch Arbeitsmigration berichten und ein neues Projekt am Symposium vorstellen werden. „Im Anfang war der Blick“, der Film von Bady Minck schickt uns auf einen Innen-Außen Kulturtrip mit grenzenlosem Suspense. Das Hören wirkt für alien productions sogar vorausschauend, denn wenn Stare in Falkenstein die saftigen Weintrauben orten und sich der Schwarm auf sie herablassen möchte, funkt RAPTOR reloaded akustisch dazwischen: abschreckend für den Vogel, für den Menschen angenehm erklingen elektronische Kompositionen am Weinberg. Ob der so (durch Zufuhr von Klang) behandelte Wein auch anders schmeckt, kann das Publikum an der Finissage beurteilen.
Gertrude Moser-Wagner

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1) „Soil=Boden, Erde. Boden, auf dem unsere Füße stehen“, Gertrude Moser-Wagner (Naturhistorisches Museum Wien, Symposium und Publikation, Triton 2002)